Ich sitze auf einem überdachten Holzplateau und blicke auf den Lago de Atitlan während ich diese ersten Zeilen abtippe. Seine Schönheit ist bezeichnend, erhobenen Hauptes thronen mehrere Vulkane an seinen Ufern, unter der Wasseroberfläche finden sich Relikte aus alten Zeiten, vergessene Maya Kultstätten.
Das letzte Mal, dass ich auf großer Reise war und mein Erleben in niedergeschriebenen Worten zum Ausdruck gebracht habe ist über 10 Jahre her und spielte sich auf einem anderen Kontinent ab. Indien hat mich vieles gelehrt und mir viele Fragen mitgegeben, nachdem ich über mehrere Jahre in jeden Semesterferien oder Zeitlücken in meinem deutschen Alltag in den Flieger stieg, um meine Freunde dort zu treffen, später meinen indischen Partner. Meine Reise jetzt ist es eine andere. Es ist nicht die Abenteuerlust, die mich ruft, ich muss nicht Orte und Eindrücke sammeln, meine Intention fühlt sich stiller an. Aber wieder ist es eine Suche. Eine Sehnsucht nach Rückverbindung, nach Verwurzelung. Es scheint einerseits vielleicht absurd Verwurzelung in einer fremden Kultur zu suchen und andererseits macht es Sinn, wenn man sieht, dass in Zentral - und Südamerika Kultur and Tradition noch einen anderen Stellenwert haben und nicht alles in den Kriegsruinen verschwunden ist.
Ich bin dankbar Deutschland hinter mir zu lassen. Eine graue, enge Wolke hängt über Kassel, über Deutschland. Ich fühle wie sie meinen Körper zuschnürt und mir Lebensfreude nimmt und in mir gibt es dieses Gefühl - hier kann ich nicht atmen. Ich kann nicht tief atmen und ich werde mich nie tief lebendig fühlen. Ich möchte an einem Ort leben, der wild ist und nicht umgeben von rechteckigen, eingezäunten Rasenflächen, auf denen verloren Mähroboter herum schleichen und sich ab und an mal ein Mensch blicken lässt, wenn er denn dann mal Feierabend hat. Ich will an einem Ort leben gemeinsam mit Menschen, die die Erde und die Natur um sich herum würdigen und ehren, in dem Bewusstsein verankert, dass wir ihre Kinder sind und sie uns beschenkt. Ich will morgens wach werden und aus meinem Zimmer einen Schritt nach draußen machen können und Zeugin des Sonnenaufgangs sein, in tiefer Stille und genauso abends die Sonne verabschieden. Ich will die Jahreskreisfeste in Gemeinschaft feiern und gemeinsam unser selbst angebautes Gemüse zelebrieren, wenn Erntezeit ist. Ich will wieder so leben, wie das Leben einst war bevor der Windigo (aus dem Buch geflochtenes Süßgras) seine Klauen tief in die Erde grub und der Mensch seinen Ursprung für viele viele Jahre vergaß. So ist meine Suche nicht nur eine Suche nach Menschen, die noch in tiefer Anbindung und Verbindung leben, um von ihnen zu lernen, sondern auch nach Klarheit und Ausrichtung in mir. Ich trage die Frage in mir, wo wollen wir leben? Mein Partner Steffen und mich verbindet eine gemeinsame Vision und ich habe tiefe Dankbarkeit dafür diesen Weg nicht alleine gehen zu müssen.
Nun sind wir in Guatemala und meine erste Erkenntnis: der Windigo beherrscht nicht nur den westlichen Teil der Welt, sondern auch Guatemala. Ich wusste das schon vorher und trotzdem gab es in mir die kindliche Sehnsucht, eine ganz andere Welt vorzufinden, eine Welt, in der alles besser ist. Und die Welt hier ist ganz anders, aber auch hier beherrschen Handys und Social Media das Bewusstsein, es gibt kaum Geschäfte, in denen das Sortiment an Softdrinks und Chips nicht mehr Platz einnimmt als andere Lebensgrundnahrungsmittel und die Traditionen weichen mehr und mehr der Moderne. San Marcos, eine spirituelle Hochburg am Lake Atitlan ist unser Zuhause für 6 Wochen. Völlig übermüdet nach über 24 Stunden an Flughäfen und einer kurzen Nacht in Guatemala City sitzen wir in einem Shuttle und kommen nach ein paar Stunden am See an. Ich bin erschöpft und gleichzeitig fühle ich mich gut. Es hängt keine enge, graue Wolke über diesen Bergen und Tälern, in den nächsten Wochen fühle ich, wie sich mein Energiesystem rekalibriert und klärt. Die Bootsfahrt über den See ist gewöhnungsbedürftig und nichts für Menschen mit Bandscheibenproblematik. Die Schnellboote haben nicht viel Gewicht und so gibt es mit jeder gebrochenen Welle einen Aufprall auf der Wasseroberfläche und man knallt mit ordentlicher Wucht auf die ungepolsterten Bänke. Ich schaue mich um, niemand zuckt mit der Wimper. Ich setze mich so hin, dass ich im Moment eine Aufpralls meine Beine anspannen kann und mich so ein Stück von der Bank abheben kann, um nicht wie ein Sack Kartoffeln völlig ungebremst auf die harte Bank niedergehen zu müssen. Ich muss über mich lachen, entspannt sehe ich nicht aus.
Die ersten zwei Wochen verbringen wir unten in San Marcos in einem Hostel. Wir haben eine etwa 9 qm große Hütte mit einem Bett, Platz gibt es nicht wirklich. Für unsere Beziehung ist es eine Feuerprobe, räumliche Ausweichmöglichkeiten gibt es keine, da der Hängemattenbereich auch ein Mückenimperium ist. Dazu kommt, dass wir uns nicht wirklich wohl in dem Ort fühlen. Der See mit seiner betörenden Schönheit und tiefen Kraft hat viele Menschen aus dem Westen angezogen, überall finden sich schicke Retreatcenter, ein Yogateachertraining folgt auf das nächste und es gibt es viele Communities um den See. Ecstatic dance, Kakao Zeremonien und Yoga sind hier überall vertreten, überall hängen Plakate, die plant medicine Zeremonien ankündigen und healing Sessions offerieren. Es gibt Läden, in denen man sich das perfekte „spirituelle“ Outfit kaufen kann und der passende Edelsteinschmuck ist auch nicht weit. Blauen Lotus und magische Pilze kann man auf dem Hippie highway zusammen mit Hafermilch und anderen importierten Produkten für einen stolzen Preis erwerben. Nichts davon ruft mich oder resoniert in mir. Ich fühle die alte Wunde zwischen den Einheimischen und den weißen Menschen. Sie ist im Feld. Vor 400 Jahren kamen die spanischen Eroberer und brachten die Kirche. Die Spaltung existiert immer noch, jetzt sieht sie anders aus. Es fühlt sich an wie zwei Parallelwelten. Die weiße-Menschen-bubble, die sich an einem Kraftort eine eigene Welt schafft und die Einheimischen, die ein ganz anderes Leben führen. Wie kann wirkliche Verbindung dieser beiden Welten gehen, frage ich mich. Die Einheimischen verdienen ihr Geld mit den Touristen und so ist es eine Geschäftsbeziehung. Nach zwei Wochen haben wir genug von dem Ort und ziehen uns resigniert und mit einem Gefühl der Desillusionierung auf einen Berg zurück, in ein leeres Retreatcenter, um unsere nächsten Schritte zu planen. Wir verbringen vier Wochen hier. Ich genieße die Natur und den Blick auf den See und habe einige wilde Nächte, die Energie des Ortes ist kraftvoll und bringt viele, alte Themen hoch. Andere Reisende leisten uns immer wieder für ein paar Tage Gesellschaft und so kommt es, dass ich irgendwann mit Emily, einer französischen Reisenden in einem der Hütten sitze und ihr eine breathwork Session gebe. Sie reist tief und ich bin dankbar an die Kraft dieser Arbeit erinnert zu werden.
Ayahuasca - die Meisterin der Heilpflanzen ruft mich schon länger, sie hat mich viel in Träumen besucht und ich fühle mich ihr sehr verbunden. Ich bekomme öfter von Menschen, die meine Bilder sehen gesagt, dass sie Ayahuasca darin sehen und ich schätze es ist meine tiefen Verbundenheit zu den Tier- und Pflanzenseelen, generell zur geistigen Welt, die in meinen Bildern Ausdruck findet und die sie mit Ayahuasca assoziieren, weil Ayahuasca die Tore für diese Art der Wahrnehmung so stark öffnet. Pflanzenmedizin reisen haben sehr an Popularität gewonnen in den letzten Jahren. Auch hier in San Marcos gibt es viele Möglichkeiten dazu und gleichzeitig haben wir bis jetzt keinen Schamanen oder Medizinmenschen getroffen, bei dem wir ein Gefühl von Stimmigkeit empfunden haben. Ich führe es auf einen Mangel von wirklicher Führung und Abwesenheit von Vorbildern zurück, dass es sehr viele Menschen gibt, die Pflanzenmedizin und andere tiefe Heilungsräume öffnen ohne wirklich tief verankert in sich selbst und dem, was sie tun zu stehen. Zu früheren Zeiten gab es Heiler und Schamanen und sie hatten ihren Platz in der Gemeinschaft.
Heiler oder Schamane zu sein war keine Verstandesentscheidung, sondern Schicksal. Einen solchen Weg zu gehen war eine lebenslange Aufgabe und um ihr gerecht zu werden, wurde entsprechend darauf vorbereitet. Viele von uns tragen diese alten Erinnerungen in sich und können auf Fähigkeiten und Wissen zurück greifen und dennoch bedarf es viel innerer Arbeit und Heilung der Psyche geerdete Heilarbeit anbieten zu können. Kurz nach unser geplanten Abreise findet hier im Retreatcenter eine Ayahuasca Zeremonie mit zwei Huni Kuin Frauen statt und wir ziehen in Betracht daran teilzunehmen. Vorher gibt es ein Konzert in einem Ort am anderen Ufer des Sees, uns ist es wichtig einen persönlichen Eindruck zu bekommen bevor wir uns auf so eine tiefe innere Reise einlassen. Auf Stühlen sitzen wir in einem Halbkreis um die zwei Frauen, Mutter und Tochter. Joe übersetzt für uns, sie organisiert alles für die beiden, die im brasilianischen Dschungel leben. Die Situation fühlt sich merkwürdig an. Joe erklärt, dass die beiden noch nicht lange Konzerte geben und sie es nicht gewohnt sind. Sie singen sonst nur in ihrer Gemeinschaft und in Zeremonien. Beide Frauen tragen Federschmuck auf dem Kopf, die Tochter hat den Blick gesenkt und hebt ihn kein einziges Mal während sie singt. Ihre Körperhaltung ist zusammengezogen, in meiner Wahrnehmung fühlt sie sich unglaublich unwohl, es entsteht kein Kontakt zwischen ihr und der Gruppe und sie fühlt sich ganz weit weg an. Ich kann mich nicht gut entspannen, ich habe viele Fragen im Kopf. Joe erklärt; dass es wichtig ist Konzerte zu geben, damit die Menschen sie kennen lernen und gleichzeitig fühlt es sich unnatürlich und absurd an. Später erfahren wir, dass es in den Zeremonien ähnlich ist. Kein Blickkontakt und sehr zurückgezogen. Wir wissen nichts über die Hintergründe davon, aber wir haben beide ein starkes Gefühl, dass hier etwas unstimmig ist und entscheiden uns gegen die Zeremonie. Es gibt einige Medizinmenschen von Stämmen aus Brasilien, die in den heutigen Tagen umher reisen und Zeremonien geben, wie die Huni Kuin und auch die Yawanawa. Ich glaube es ist leicht in diese Menschen viel hineinzuprojizieren, sie als ultimative Lösung unserer Abgetrenntheit und Entfremdung zu sehen, da sie ein ursprünglicheres Leben leben als wir. Und gleichzeitig merke ich, wie wichtig es ist auch hier gut hin zu spüren, auf Resonanz und Dissonanz zu hören. Die gesungenen Gebete waren sehr kraftvoll; ich habe sie tief in meinem Körper wahrnehmen können und ich will den Stämmen in keinster Weise ihre Kraft absprechen, die ist sehr deutlich spürbar. Aber es sind eben auch Menschen und Menschsein bringt viele Facetten mit sich, nicht nur lichtvolle.
Es ist Zeit für uns uns zu verabschieden. Im Retreatcenter lebt ein kleines Kätzchen, das sich ein paar Tage vor unserer Anreise schwer verletzt hat und so lernen wir es als menschenscheues, zurückgezogenes Wesen kennen, das nur auf drei Beinen laufen kann und sich nicht berühren lässt. Als wir uns verabschieden, leckt sie Steffens Hand und ich habe sie in den letzten Tagen auf dem Arm tragen dürfen. Sie benutzt ihre Pfote wieder, wenn auch humpelnd. Wir haben viel Zeit mit ihr verbracht und unser anfänglicher Zweifel, dass sie ohne Tierarzt nicht heilen könne ist langsam dem Vertrauen in ihre Lebenskraft gewichen. Auch die Hunde des Ortes sind unsere Freunde geworden und wir haben sie trotz nächtlicher Strapazen (sie bellen jedes Eichhörnchen, ja jedes Blatt, das vom Baum fällt an - zu jeder Tageszeit) tief in unser Herz geschlossen.
Schwer bepackt machen wir uns an den Abstieg. In den letzen Wochen habe wir schwitzend einige Auf- und Abstiege hinter uns gebracht und ich schätze die körperliche Anstrengung sehr. Ich mag Anstrengung, die sinnvoll ist, Energie die nicht in ein Laufband oder eine Hantelbank im Fitnessstudio fließt, sondern einen an gute Orte trägt und dem Leben dient.
Im Ort unten angekommen überrascht uns strömender Regen. Völlig nass steigen wir in eins der Rückenbrecher Boote und los geht die wilde Fahrt. Ich entdecke einen Aufkleber auf dem ein Mayan Surf Hotel beworben wird. Ganz in der Tradition der Maya versteht sich, die schon vor vielen Jahrhunderten den See als Surf Paradies für sich erkannt hatten. Ich muss lachen, eigentlich bin ich fassungslos. Neben dem Sticker ist ein weiterer Aufkleber mit der Aufschrift „it is not paradise if locals can’t afford to live here. Make it paradise, give land back“. JA!
Die Busfahrt nach Antigua sprechen Steffen und ich kaum ein Wort miteinander. Wir sind beide damit beschäftigt auf den Horizont zu starren, bzw. den nächsten Berghang, um nicht dem dringenden Bedürfnis nachgehen zu müssen unseren Mageninhalt zu entleeren. Ich bin dankbar, dass wir nicht noch direkt am selben Tag nach Kolumbien fliegen und daran anschließend unsere 9-stündige nächtliche Fahrt nach Bucaramanga geplant haben. Als ich damals vor 10 Jahren in Indien gereist bin, habe ich meine körperlichen und nervlichen Grenzen in aller Ausführlichkeit kennengelernt und überschritten, jetzt sind sie meine guidelines für mein Leben. Ich erinnere mich wie ich mit einem indischen Freund in Mumbai keine 10€ für eine Nacht in einem Hostel bezahlen wollte und wir am Ende eingeladen von einem Bekannten in einem kleinen Schuppen voller Insekten schliefen, um der horrenden Summe von 10€ zu entgehen. Aber spätestens als es in unseren Schlafsäcken krabbelte, fassten wir uns ein Herz und zogen am nächsten Tag zu einem Freund, in dessen Wohnzimmer wir gemeinsam mit seiner Großmutter auf dem Fußboden schliefen. Die Zeiten waren wild und ich war mehr außerhalb als innerhalb meines Körpers zuhause, ich glaube anders hätte ich Indien nicht gut überstanden.
Steffen und ich kommen regelmäßig im Gebet zusammen. Es sind die Momente, in denen ich am meisten spüre, wofür ich hier bin. Unseren letzten Tag in San Marcos verbringen wir am Wasser. Wir trommeln und singen. Ich habe getrocknete Rosen und andere Gaben aus Deutschland und von meinen Reisen dabei, die ich mit einem Gebet aufs Wasser gleiten lasse. Ich fühle wie wohltuend es für die Wesen und Hüter der Orte ist, wenn wir sie begrüßen und uns verabschieden, sie würdigen und mit ihnen in Kontakt sind, sie erkennen. In einem kleinen Döschen habe ich außerdem Wasser vom Hohen Meissner, einem Kraftort in der Nähe von Kassel, mitgebracht und schütte es mit einem Segen in den See. Ich nehme etwas Wasser vom See mit für meine weitere Reise, um es zu anderen Gewässern zu tragen. Die Verbindung zum Wasser zu suchen fühlt sich an wie ein roter Faden meiner Reise. Es gibt für mich nichts wohltuenderes als ein Bad in einem glasklaren See zu nehmen oder das Wasser aus einer Quelle trinken zu können. Die verunreinigten Gewässer unserer Erde empfinde ich als direkten Spiegel des Bewusstseins auf unserem Planeten. Der Lake Atitlan ist davon auch sehr stark betroffen. Die Abwässer der Stadt werden in ihn hinein geleitet und ich beobachte wie die Bauarbeiter einer am See gelegen Baustelle alle Utensilien mit dem Wasser reinigen und es anschließend auch in den See kippen.
Wie konnte es passieren, dass die einst so verbundenen Maya so verloren gingen? Es ist die Geschichte der Erde und ihre Geschichte ist auch unsere. Ich kenne sie gut mittlerweile, ich habe viel geforscht und erfühlt in den letzten Jahren, um meine eigenen Wunden und die kollektiven besser begreifen zu können, zu begreifen wie der Windigo seinen Weg in dieser Welt findet. Die Maya haben sehr viel Kraft, anders ist es nicht erklärbar, dass sie noch heute mit Teilen ihrer Tradition verbunden sind, sich ihre Sprache erhalten haben. Sie haben Monsanto boykottiert. Mais ist für sie heilig, das Saatgut wird von Generation zu Generation weitergegeben und ist ein Teil der Familie. Am Lake Atitlan bauen sie noch viel Mais an, allerdings mussten sie ihren perfekten Standort am Seeufer aufgeben und Platz machen für Luxusbauten, die von der Aussicht profitieren. Weiter oben auf den Bergen sieht man sie nun unter schwierigen Bedingungen ihre Mais Plantagen bewirtschaften. Auf unserer Rückreise durch Antigua verbringen wir einen Abend mit unserem guatemaltekischen Host, der uns mit in seine Erfahrungswelt nimmt. Er erzählt, dass die Maya und generell die indigenen Communities sehr für sich sind und die Regierung und die anderen Guatemalteken ablehnen und nichts von ihnen wissen wollen. Das führt zu einer großen Spaltung in der Bevölkerung. Ich kann die Ablehnung der Maya gegenüber den anderen sehr nachvollziehen, die alte Wunde ist tief und es gibt viel Verbitterung, Misstrauen und Wut. Was sich in den heutigen Tagen am See ereignet fühlt sich an wie eine Wiederholung von damals. Die Enteignung des Landes, die Kommerzialisierung von Tradition. Reiche, weiße Menschen, die oft mit sehr wenig Respekt die heiligen Orte betreten, die Liste ist lang. Ich weiß nur, dass ich mich in diesem Spannungsfeld nicht wohl fühle und auch nicht im Stande bin es auszublenden, um eine gute Zeit in einer „spirituellen“ Gemeinschaft zu haben.
Und bevor ich das Kapitel Guatemala schließe und wir uns nach Kolumbien begeben, mag ich noch einen Fun Fakt teilen: Kakao Zeremonien sind eine Erfindung des Westens. Die Maya haben Kakao ganz anders für sich genutzt, zum Beispiel wenn jemand krank war, Kakao war Medizin. Das süße Getränk, wie wir es von unseren „Kakao Zeremonien“ kennen, angereichert mit herrlichen Gewürzen hat nichts mit der ursprünglichen Tradition zu tun. Das heißt nicht, dass die westliche Erfindung von Kakao Zeremonien wertlos wäre, ich selbst genieße Kakao mit etwas Kardamom und Rosenwasser in einem Kreis von Herzensmenschen sehr und kenne kein nährenderes Getränk, aber es ist losgelöst von seiner ursprünglichen Verwendung.
Kolumbien
Nach zwei Tagen in Bogota nehmen wir einen Bus nach Bucaramanga. Wir haben ausführliche Recherche über die unterschiedlichen Busse betrieben, um einer 12 stündigen Lautstärke Eskapade zu entgehen. Ich blicke auf einige Erfahrungen in Indien zurück, bei denen auf überall im Bus verteilten Bildschirmen die ganze Fahrt lang auf maximaler Lautstärke Filme liefen. Nach dem 3ten Film hatte ich damals Kopfschmerzen und nach dem 5ten Film (um 12 Uhr nachts) fing ich an darüber nachzudenken, wie hoch die Überlebenschancen stehen, wenn man aus einem fahrenden Bus springt. Ich habe mich damals dann gegen AC Busse und für general class Busse entschieden, die weder den Luxus eines Fernsehers besaßen, noch den einer Klimaanlage. Als relativ geräuschempfindsamer Mensch muss man Entscheidungen treffen. Ich brauche keine Wiederholung dieser Erfahrungen und so finden wir zum Glück einen Bus, wo jeder seinen eigenen Bildschirm hat und somit Schmied seines eigenen Schicksals ist. Dankbar sitze ich nun in dem breiten Sitz und tatsächlich genießen wir die meiste Zeit der Fahrt Ruhe. Ich mag Kolumbien jetzt schon. Die Natur ist wunderschön und die Menschen sehr offen. Um 11 Uhr abends lässt uns der Fahrer an einer Haltestelle aus dem Bus, die „Pare Papi quiero piña“ heißt (was so viel bedeutet wie Haltestelle „Papi ich will Ananas“) und wir machen uns auf den Weg zu Carlos, einem Freund von Steffen. Leider haben wir keine Simkarte und kein Internet und wir haben nur kryptische Informationen über die Lage des Hauses. Gemeinsam mit dem Taxifahrer machen wir uns auf die Suche. Er scheint nicht ganz Herr seines Handys zu sein und so gibt er es uns, nach einigen Erklärungsversuchen unsererseits wie man einen Hotspot einrichtet, in die Hand. Zum Glück hat Carlos noch ein paar hilfreiche Hinweise und wir finden das Haus. Mittlerweile ist es schon spät und alle im Haus scheinen zu schlafen. Ich klettere über den Zaun und rufe nach Marta, der Besitzerin des Hauses. Gott sei Dank kommt sie nach einiger Zeit heraus und lässt uns durch die Pforte rein. Wir verabschieden uns von dem Taxifahrer und danken für seine Mühen und bemerken danach, dass er wahrscheinlich weder wusste was ein Hotspot ist, noch wie man ihn ein oder ausstellt. So beende ich meine erste Erzählung hier mit den Worten: und wenn er nicht gestorben ist, dann gibt es seinen Hotspot noch heute.
Eine Woche später sitzen wir schon wieder im Bus auf dem Weg nach Barichara. Die letzte Woche bei Steffens Freunden haben wir vor allem mit Ausruhen und dem Zubereiten von Essen verbracht. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie man ganze Tage damit verbringen kann Essen vorzubereiten, zu kochen und zu essen. Wir schlafen im Zelt. Ich liebe die nächtliche Geräuschkulisse. Das Haus von Martha liegt auf einem Berg vor Bucaramanga. Nachts flimmern die Lichter der Hochhäuser der Stadt in der Ferne, eine warme Brise weht. Das Grundstück ist übersät von riesigen Kröten, die bei Dämmerung ihre Verstecke verlassen. Eine von ihnen springt gegen meine Gitarre und lässt sich dann in ihrem Schatten nieder. Ich bin sehr erschöpft, unsere Reise vom Lake nach Bucaramanga hat sich über 5 Tage erstreckt und ich merke wie ich mich danach sehne anzukommen. In jeder freien Minute lege ich mich mit einem Spanisch- Lernbuch in die Hängematte. Zum Glück bin ich der französischen Sprache mächtig und kann mir Grammatik und Wörter ableiten. Trotzdem sind die Unterhaltungen, die ich mit Martha führe anstrengend für mich. Mit dem Verstehen tue ich mich schwer, sprechen fällt mir nicht so schwer. Carlos, Steffens Freund, kolumbianischer Herkunft, lernt bei einem Schamanen in Putumayo, im südlichen Amazonas Gebiet Kolumbiens. Es ist bereichernd von ihm über die unterschiedlichen Stämme im Dschungel zu erfahren. Gleichzeitig merke ich zunehmend, dass ich mich unsicherer fühle als vorher. Die Erfahrungen am Lake Atitlan haben mich sehr bewegt und auch Carlos erzählt von seinen Erfahrungen als nicht indigener Kolumbianer mit Indigenen, die keineswegs immer positiv waren. In mir ist die Sehnsucht von ihnen zu lernen und gleichzeitig verstehe ich, dass sehr viel Vergangenheit zwischen uns steht. Wir begegnen uns eben leider nicht nur als Individuen, sondern auch als Träger von kollektiven Erfahrungen.
Barichara ist ein wunderschöner Ort. Zehn Minuten entfernt vom Zentrum führt ein holländisches Paar einen Camping Platz und Steffen, der vor vier Jahren dort für einige Zeit gearbeitet hat, hat ihn in bester Erinnerung behalten. Und er ist wirklich ein Traum! Der Stress der Busfahrt fällt schnell von mir ab, es ist unglaublich still. Nachhaltigkeit und Permakultur liegen den beiden am Herzen, sie backen Brot selbst und machen herrliche Marmelade. Sie haben immer viele Freiwillige, die gegen Kost&Logie mit anpacken und der Ort zieht allerlei interessante Menschen an. Die meisten verbindet die Suche nach einem Leben in Verbindung mit der Natur und sich selbst, das Gefühl es im eigenen Land, in der Stadt nicht auszuhalten und dem Wahnsinn der Gesellschaft entkommen zu wollen. Es ist das erste Mal seit dem wir unterwegs sind, dass ich das Gefühl von Gemeinschaft erlebe und fühle wie wohltuend es ist und wie ich es schmerzliche vermisst habe. Anfänglich fühle ich mich innerlich sehr getrieben. Es braucht eine Weile bis das Gefühl der Eile in mir ruhiger wird und ich mich entspannen kann. In meinen deutschen Zellen lebt der Glaubenssatz zu jeden Zeitpunkt etwas „sinnvolles“ tun zu müssen und mich eingeschlossen treibt er viele von uns durchs Leben. An diesem Ort hier herrscht eine tiefe Ruhe. Morgens arbeiten die Freiwilligen mit Juep bis zum Mittag, danach ist jeder frei das zu tun, was er oder sie möchte. Meine künstlerischen Projekte liegen größtenteils auf Eis, da ich nicht auf Leinwand malen kann. Und so kommt es, dass ich keine Aufgabe habe und anfangs finde ich es furchtbar. Es dauert ein paar Tage und einige emotionale Prozesse bis ich Genuss darin finde morgens aufzustehen, gemächlich einen Tee mit Kräutern aus dem Garten zu trinken und dann das Mittagessen für alle vorzubereiten. Wir verbringen unzählige Stunden gemeinsam am Tisch und teilen Geschichten. Zum Sonnenuntergang setze ich mich auf einen Felsen und beobachte wie der leuchtende Feuerball hinter den Bergketten verschwindet. Am späten Abend gewittern es fast jede Nacht und ich genieße den Regen auf unserer Zeltplane. Ich liebe das Projekt, dass die beiden hier aufgebaut haben. Sie versuchen sich weitestgehend unabhängig vom Wasser des Dorfes zu machen und haben ein Wassersystem gebaut, das mit Regenwasser und Pflanzenklärsystemen arbeitet. Der Ort Barichara generell hat viele Menschen angezogen, die nach nachhaltigen Lebensformen suchen und sie weiterentwickeln. Zu meiner Freude gibt es viele Künstler und Kreative, man kann z.B. das Herstellen von Erdpigmentfarben erlernen und nachhaltige Bauweisen. Natürlich zieht ein schöner Ort wie dieser auch viele Touristen an und die Tourismus nimmt großen Einfluss auf alle Infrastrukturen, in meiner Wahrnehmung hält sich das Ausmaß aber in Grenzen. Ich bin dankbar mich nachts sicher auf den Straßen der Stadt fühlen zu können und wie ich höre, scheint dies einer der wenigen Orte Kolumbiens zu sein, der das mit sich bringt.
Mehr und mehr erkenne ich, wie schwer es mir fällt in der Tiefe zu genießen und nicht permanent im Funktionsmodus zu sein. Es ist subtil und gleichzeitig tief verankert in meinem Sein. Die Stille und die Berge hier lassen mich mehr und mehr Abstand zu Deutschland und dem deutschen Leben nehmen, aber es braucht Zeit. Wir treffen einen Schamanen, der hier in der Nähe lebt und mit Yage (Ayahuasca) arbeitet. Gemeinsam mit seiner Frau besitzt er Land in der Nähe von Barichara, wo die Zeremonien stattfinden und sie viele Medizinpflanzen kultivieren, wie die Yage Pflanzen, Sananga, Tabak und Koka, aber auch Brennnesseln und Zitronengras. Sie sind sehr herzlich und offen und lassen uns teilhaben an ihrem Leben. Unser Spanisch ist mittlerweile so gut, dass wir das meiste verstehen, was sie uns erzählen und uns gut einbringen können.
Wir lassen Barichara nach 6 Wochen hinter uns. Mit hängenden Ohren verabschiedet uns Phoenix, einer der beiden Hunde des Platzes. In mir ist ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, es wärmt mich von innen und ist Medizin für mein Herz. Ich fühle mich wie der Kolibri, der hier tagtäglich dieselben Blüten aufsuchte und seinen Schnabel tief in die Blütenkelche steckte, um den Nektar zu trinken. Das anfängliche Gefühl unserer Reise in Guatemala, nicht am richtigen Ort zu sein und sich auf eine Art und Weise sehr verloren zu fühlen in einer fremden Kultur fern von zuhause, ist einem Gefühl von Zuversicht und Freude gewichen. Barichara hat uns reich beschenkt. Grundsätzlich meide ich Städte und größere Orte, ich finde kein Gefallen an Verkehrschaos und Konsum, aber Barichara mit seinen traditionellen Lehmbauten hat einen Charme, der mich begeistern konnte, wie sonst kaum eine andere Stadt. Handwerk und Handarbeit haben noch einen Platz im kulturellen Leben und so findet man von handgewebten Lampen, Taschen und Ponchos bis hin zu handgeschöpftem Papier viele ursprüngliche Traditionen in den kleinen Läden, die die Straße säumen. Und so konnte auch ich tiefer in das Handwerk Baricharas eintauchen. Vor einiger Zeit entstand in mir der Wunsch Gürtel herzustellen. Ich hatte von einer Tradition aus Mexiko gehört, die tief in mir Anklang fand. Frauen trugen einen Gebärmuttergürtel, einen Gürtel der Gebet und Schutz für den weiblichen Schoß darstellte. Eine Tradition, die auf altes Wissen zurückgreift und die Frauen als den Ursprung menschlichen Lebens würdigen. Zum richtigen Zeitpunkt würde mir dieser Wunsch erfüllt werden - diese Gewissheit trug ich in mir und so verzichtete ich auf Youtube Videos und Internetrecherche und vertraute mich dem Fluß des Lebens an. Nachdem ich viele Tage in der Natur und Stille verbracht hatte, kam ich an einen Punkt, wo ich das Gefühl hatte, ich bin bereit für Neues. Und da bis jetzt keine Lehrerin für Gürtel in Aussicht zu sein schien, griff ich auf das Internet zurück und nach einigen Videos, hatte ich eine Idee davon, wie ich mir einen eigenen Webrahmen bauen könnte und machte mich am nächsten Tag vorfreudig auf den Weg nach Barichara. Vom Campingplatz läuft man in etwa vierzig Minuten in den Ort. Der Weg führt um einen Berg herum, stets mit Aussicht über den ganzen Canyon. Um der Mittagshitze zu entkommen, mache ich mich nach dem Frühstück auf den Weg. In Barichara angekommen versperrt mir ein bellender Hund den Weg. Mir bleibt nichts anderes übrig als die Straße zurück zu laufen und einen anderen, mir unbekannten Weg zu nehmen. Und da geschieht es; ich laufe an einem der Häuser vorbei, dessen Fenster einen Blick nach innen zulassen und sehe einen Raum voller Webrahmen. Ohne zu zögern betrete ich das Haus und rufe nach jemandem. Die nächsten 1,5 Stunden verbringe ich mit Sylvia, einer älteren Dame, Künstlerin und Weberin, die hier ihr Handwerk vollzieht. Sie ist unglaublich herzlich und wir verstehen uns gut, trotz meines limitierten Spanisch Wortschatzes. In den kommenden Wochen besuche ich sie regelmäßig und sie bringt mir alles bei, was ich lernen möchte. Wenn ich zurück auf unserem Campingplatz bin, sitze ich stundenlang eingespannt in einen Webrahmen (mit einem Gürtel fixiere ich den unteren Teil des Rahmens an meinem Körper, den oberen Teil binde ich an einen Balken) und webe Gürtel. Wer einmal gewebt hat, der weiß, Weben ist Medizin. Ich komme in eine tiefe, innere Ruhe. Eile ist hier nicht vorgesehen. Unsere Vorfahren haben schon gewebt und deren Vorfahren ebenso. Ich kann sie fühlen, wenn ich da so sitze und webe. Die Schicksalfäden weben, so fühlt es sich an. In ihren Mustern und Farben lebten Kultur und Geschichte, sie wurden behütet und weitergegeben. Tradition als Faden des Lebens, als Faden, der Generationen miteinander verwob und verband. Weben ist symbolkräftig. Ich bin traurig darüber, dass ich zu Zeiten zu denen meine Großmutter noch lebte, wenig Wertschätzung und Verständnis für ihre Leidenschaft zum Stricken hatte. Würde sie heute noch leben, ich würde vieles von ihr lernen wollen. Es fühlt sich so an, als würde Sylvia in diese entstandene Lücke treten. Nach getanener Arbeit kocht sie für uns eine Linsensuppe und ich werde während meiner Lektionen mit frischem Saft versorgt. Uns verbindet eine gegenseitige Liebe, die etwas universelles hat. Sie als Großmutter, als Trägerin von altem Wissen und Lebenserfahrung und ich als Enkelin, als Empfangende und Lernende. Natürlich macht mein Spanisch in dieser Zeit auch große Wachstumsprünge und ermöglicht mir einen tieferen Einblick in ihr Leben und ihre Erfahrungswelt, in das Leben einer kolumbianischen Frau, die einen ganz eigenen Weg gegangen ist, den Weg einer Künslterin. Ich werde ihr für immer dankbar sein.
Einen anderen Tag verlasse ich diese Erde für eine Weile und betrachte alles aus der Luft. Mit einem Paraglidingschirm gleiten wir über einen Canyon, auf der Suche nach einem Luftstrom, der uns in die Höhe tragen kann. Diese Erfahrung brennt sich tief in meine Seele ein. Es ist ein Gefühl von totalem Vertrauen und Hingabe und gleichzeitigem Überwältigtsein von der Schönheit der Erde. Mir laufen die Tränen, etwas in mir lässt komplett los, lässt sich komplett ein auf diese Erfahrung. Ich habe keine Angst, zu keinem Zeitpunkt. Bereits 2016 wollte ich in Indien paragliden gehen, auch damals schon in dem Wissen, dass es für mich mehr als ein reiner Unterhaltungsakt oder Freizeitsport sein würde. Aber wie das Leben so wollte, wurde ich damals sehr dolle krank und musste zurück nach Deutschland fliegen, ohne es überhaupt in die Nähe des Himalayas geschafft zu haben. Jetzt fühle ich mich wie ein Adler, der in der Luft herrscht und das Leben der Menschen überblickt. Es schafft Abstand zu allem. Als ich wieder lande, fühle ich mich initiiert. Ich weiß, dass ich in diesem Gefühl leben will. Das Gefühl, zu springen, sein Leben zu riskieren und gleichzeitig zu spüren, dass ich getragen bin und absolut gehalten in den sicheren Händen des Lebens. Die Erfahrungen sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst, realisiere ich als ein anderer Deutscher gereiften Alters mit kreidebleichem Gesicht nach seinem Flug landet. Ihm wurde so übel durch das Kreiseln in den Aufwinden, dass er keinen Blick mehr für Schönheit hatte und auch den Rest der Autofahrt zurück in die nächst große Stadt kein Wort mehr spricht.
Yagé (Ayahuasca)
Yagé ist für mich der mächtigste Pflanzenspirit, dem ich je begegnet bin. Wenn wir wirklich offen sind, dann kann er uns in die kraftvollsten und vulnerabelsten Zustände befördern, die wir uns vorstellen können. Es war als wäre mit dem Einnehmen des schwarzen Suds die Urkraft in mich eingedrungen, bis in jede Zelle meines Körpers. Keine Gedanken, kein Verstand, keine Kontrolle, nur pure Kraft, die alles aus meinem energetischen und körperlichen System fegt, was dort nichts verloren hat. Nicht sanft, sondern mit einer Wucht, ähnlich einem Vulkanausbruch. Mit jedem Erbrechen gebe ich das zurück an die Erde, was nicht zu mir gehört. Das Erbrechen kommt aus der tiefsten Tiefe des Körpers, der Körper „schmeißt“ raus, was er nicht mehr will. Ich bin ganz Körper. Ich habe keine Kontrolle über die Geräusche und Laute, die ich von mir gebe, meine Körperintelligenz hat übernommen. Dieser Zustand ist verdammt verletzlich. Nie niemals möchte ich in eine Zeremonie geraten, die nicht gut gehalten oder in einem chaotischen Rahmen statt findet, das würde mich meine Seele kosten, so fühlt es sich an.
Omar&Jelena In vielerlei Hinsicht verkörpern diese beiden Menschen einen wesentliches Teil des Anliegens unserer Reise. Sie verbinden Kulturen, sie verweben einst verlorene Fäden zu einem neuen Geflecht, das Erinnerungen an das Leben in Verbindung mit der Schöpfung zurückholt. Omar, der aus Kolumbien kommt und in dessen Körper noch die indigene Weisheit seiner Vorfahren lebt und Jelena, die aus Schweden kommt, wo einst auch ihre Vorfahren viele, viele Generationen zurück in Verbindung mit der Natur lebten und die beiden gemeinsam altes Wissen erinnern, kultivieren, verbinden und neue Formen finden. Auch wir stammen von indigenen Völkern ab, das ist wichtig sich ins Bewusstsein zu rufen. Es erscheint für viele von uns absurd zu sein, die Entfremdung ist so groß. Die ursprüngliche Natur, die mit dem Leben indigener Völker einher geht, ja sie bedingt, ist weitesgehend zerstört in unseren Teilen des Planeten, die Menschen sind derart entwurzelt, dass diese Erinnerung ganz weit weg erscheint. Aber es ist nicht wahr und unsere Körper kennen diese Wahrheit. Und es gibt viele Wege sie zu erinnern. Von Indigenen, von Menschen, die noch in dieser Anbindung leben, zu lernen, ist ein Weg. Aber er fordert auch vieles. Ich bin sehr dankbar, dass ich meine erste Ayahuasca Erfahrung nicht in einem abgelegenen Teil des Amazonas mache, bei einem Tribe, der eine Sprache spricht, die ich nicht verstehe und eine Art des Seins und der Kommunikation hat, die mir völlig fremd ist. Es wäre auf allen Ebenen eine Überforderung gewesen. Gerade für diese Art der seelischen Reisen brauche ich einen sicheren Raum, einen Raum, in dem ich mich entspannen kann und Kontrolle abgeben kann. Gleichzeitig weiß ich auch und höre es immer wieder, dass der Raum im Dschungel „purer“ ist, bzw sein kann. Er ist weniger von Ziviliisationsgedankengut beeinflusst, das Yagé von Pflanzen vor Ort und es gibt weniger Gefahr für Manipulation generell. Schamanen, die schon seit Kindheit an Yagé trinken, arbeiten anders mit der Pflanze und leben in einem ganz anderen Bewusstsein als Menschen, die sich nachdem sie viele Jahre in der modernen Welt gelebt haben, der Medizin zuwenden und einen Heilungsweg mit ihr gehen. Aber es ist eben auch nicht alles besser im Dschungel. So teilt Jelena mit mir, dass der Kofaun tribe, von dem die beiden im Amazonas lernen noch in starken patricharlen Strukturen lebt, was sich zum Beispiel am Umgang mit dem Mondblut zeigt. Es ist für die Frauen dort mit Scham und einem Gefühl von Unreinheit verbunden. Es ist schwer für mich nachzuvollziehen, wie ein Stamm einerseits in tiefer Verbundheit mit der Erde leben kann und gleichzeitig Frauen, ihren Körpern und körperlichen Prozessen gegenüber keine Wertschätzung und keinen tiefen Respekt entgegenbringt.
Eine weitere Erkenntnis, die ich trage und die sich in mir festigt; so verschieden die indigenen Kulturen auch sein mögen, sie alle verbinden im Kern ähnliche Prinzipien, sie sind lediglich angepasst an die unterschiedliche Vegetation der verschiedenen Klimazonen. Es Bedarf einer gewissen „Übersetzungsarbeit“ dessen, was wir hier lernen. Es zu übersetzen in die Pflanzensprache unseres Kulturkreises. Viele der Pflanzen, mit denen wir hier arbeiten wachsen nicht in Europa, aber Grundprinzipien lassen sich übertragen. So machen wir ein bitteres Pflanzenbad vor der Zeremonie, im Sinne der Tradition. Bitter dient der Reinigung, das süße Pflanzenbad nach der Zeremonie dem Aufbauen, dem Nähren. Man sammelt entweder 3 oder 7 verschiedene bittere Pflanzen, schneidet sie mit einem Holzmesser (Metall ist nicht gut für den Pflanzengeist) nachdem man um Erlaubnis gebeten hat und dem Pflanzengeist seine Absicht mitgeteilt hat und kocht diese dann bis man einen dunklen Sud erhält. Mit Gebeten gießt man sich dann die Pflanzensäfte über den nackten Körper, im Bewusstsein dessen, was man loslassen möchte. Es ist kein rein biologischer Prozess, der sich ereignet. Das, was wirkt, ist der Geist der Pflanzen und von daher braucht es die Verbindung zu ihnen. Eine Pflanze, die ohne Erlaubnis und in schlechter Intention geerntet wird, trägt eine ganz andere Wirkung in sich als eine Pflanze, die in Wertschätzung und Anerkennung geerntet und in Kommunikation, in Kontakt gepflückt wurde. Ein Reinigung mit süßen Pflanzensäften hat eine andere Ausrichtung und Richtung. Man ergießt den Sud nicht über den eigenen Kopf, von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Der nährenden Energie der Erde folgend, die sich über unsere Füße in unseren Körper verströmt. Sie symbolisiert all die heilenden, einhüllenden, süßen Energien des Lebens, die nun in unseren Körper Einzug erhalten dürfen.
Diese beiden Bilder habe ich nach der Zeremonie gemalt:
Putumayo - Mocoa Etwa einen Monat und unzählige Stunden Busfahrt später erreichen wir Mocoa. Die Stadt wird auch als Portal zum Dschungel bezeichnet, zum Amazonas. Schon auf der Busfahrt berührt mich der Dschungel tief. Ich fühle ein tiefes, inneres Aufatmen, wenn ich bis zum Horizont nichts anderes sehe als dichten Dschungel. Mein Nervensystem kommt zur Ruhe. Unsere Unterkunft liegt am Rio Pepino. Der Dschungel rund herum ist zuhause von Affen, unzähligen Vögeln, großen Spinnen, Schlangen. Ich fühle Demut vor dem Dschungel und dem Leben hier.
Wir treffen einen Freund wieder mit dem wir 6 Wochen lang in Barichara das Zuhause geteilt haben. Er hat eine Yagé Zeremonie hinter sich, bei der sich der Taita nachdem er die Medizin ausgeteilt hat schnarchend in die Hängematte gelegt hat. Zum Allgemeinen Verständnis; die Zeremonien finden hier in Hängematten statt. Man beginnt abends um 10 Uhr nachdem man einige Stunden gefastet hat mit einem ersten Glas Yagé. Die darauf folgenden Stunden verbringt jeder in Stille in seiner Hängematte bis Mitternacht. Es ist die Schlangenzeit. Der Spirit der Pflanze „scannt“ den Körper und sucht nach Blockaden. Man kann förmlich spüren, wie sich die Pflanze in einem ausweitet. Nach zwei Stunden wird ein weiteres Glas getrunken und in der Regel setzt dann die Wirkung der Pflanze ein, die Jaguarzeit. Die Jaguarzeit ist die Zeit, in der die Kraft der Pflanze die Menschen auf allen Ebenen reinigt. Daran schließt sich die Kolibrizeit an. Das Leben wird gefeiert und die Freude eingeladen.
Mir kommen viele wilde Geschichten über Zeremonien hier zu Ohren. Es scheint mehr Schalamanen als Schamanen zu geben. Der Ayahuasca Tourismus nimmt natürlich großen Einfluss auf das Ausüben der Tradition. Nach einer Zeit des Ankommens besuchen wir einen Taita (Schamane) des Siona Tribes. Mir ist es wichtig den Taita und ebenso den Ort zu kennen, ein Gefühl zu bekommen bevor ich mich auf eine seelische Reise einlasse. Wir fahren etwa 15 Minuten aus Mocoa raus. Der Taxifahrer hält, nachdem wir mit dem Auto einen kleinen Fluss durchquert haben und kurze Zeit später empfängt uns der Sohn des Taitas. Der Ort ist anders als in meiner Vorstellung. Er hebt sich nicht von anderen Dörfern der Region ab, keine ursprünglichen Bauweisen, nichts Organisches. Die Häuser sind teilweise halbfertig gebaut, die Maloca (Ort der Zeremonien) erinnert an eine offene Tiefgarage, die aber keinen Betonboden besitzt, sondern nackten Erdboden. Wir sitzen im Kreis mit ihnen und unterhalten uns. Es wird schnell klar, dass dies nicht ihr ursprüngliches Zuhause ist, das liegt einen Tag Reise entfernt im Dschungel. Sie mussten ihr Territorium verlassen und haben ein Reservat zugewiesen bekommen und leben jetzt seit 4 Jahren hier, so viel verstehe ich. Wenn der Taita spricht, verschluckt er einige Wörter. Er ist ein sehr liebevoller Mensch, ich fühle sein großes Herz. Sein Sohn redet wild auf uns ein, er organisiert und managed die Zeremonien und scheint ein großes Interesse daran zu haben private Zeremonien zu organisieren (=mehr Geld).
Bevor wir gehen lädt uns der Taita noch auf ein Agua de Panela (Wasser mit Vollrohrzucker) ein. In seinem Haus läuft der Fernseher, Plastik Weihnachtsdeko schmückt das Wohnzimmer. Unter dem Fernsehtisch entdecke ich einen kleinen Webrahmen, an dem mit Perlenarmbänder gemacht werden. Ich fühle mich verloren, der Ort trägt für mich die Energie des „Verlorenseins“. Ich muss an die Native Americans denken, die in ihren Reservaten dem Alkoholismus verfallen sind. Hier scheint Alkohol kein Thema zu sein und dennoch liegt in der Luft eine Energie von Schmerz, Verwirrung, Verlorensein.
Diese Erfahrung macht viel mit mir. Sie spiegelt die Geschichte vieler Tribes wider. Der Taita hat 7 Kinder, viele von ihnen sind in die Großstädte gegangen, zwei im Dschungel geblieben, einer begleitet ihn nun. Langsam zerläuft sich alles, die Kultur mischt sich mit der Westlichen. Auch wenn ich das gute Herz des Taitas spüren kann und auch den Schamanen, möchte ich an solch einem Ort keine Zeremonie machen. Ich kann mir vorstellen, dass viele Schamanen der Tribes hier in ähnlichen Situationen leben. Es ist eine Art Zwischenwelt. Zwischen Tradition und Moderne. Die alte Verbindung besteht, aber neue Einflüsse schaffen langsam Trennung und Entfremdung. Aber wir lassen uns nicht entmutigen, unsere Suche nach einem für uns passenden Taita und Ort geht weiter.
An einem anderen Tag gehen wir auf den Markt. Ich liebe Märkte sehr. Zwischen gestapeltem Obst und Gemüse werden Kräuterbündel und Handarbeiten verkauft. Traditionell gefertigter Schmuck in allen Formen und Farben findet sich genauso wie Rapé Applikatoren, die mit Federn und Perlen verziert sind. Beim Betrachten des Schmucks überkommt mich eine Freude, wie ich sie länger nicht gefühlt habe. Er drückt für mich so viel Lebensfreude und Kreativität aus. Ich entscheide mich eine gute Auswahl zu kaufen und nach Deutschland zu schicken, ich möchte ihn teilen und weiterverkaufen. Einige Bilder werde ich hier hochladen, wer sich ansonsten dafür interessiert, kann mir gern schreiben oder auf Instagram nachschauen.
Chumbes- traditionelle handgewobene Gürtel
Hier noch ein Nachtrag zu unserer Zeit in Sasaima und Barichara:
Medizinbeutel & Yage Zeremonien ...und so stehe ich an meinem Geburtstag mit der Sonne auf und ziehe mich für viele Stunden unter einen Baum zurück, um zu beten und ein Ritual zu vollziehen. Ich rufe die Geister der Natur und die Elemente durch Gesang und bringe Gaben für sie. Dann beginne ich zu weben. Ich webe einen Medizinbeutel als Symbol für den inneren Raum in mir, der entstehen darf. Einen Raum, den ich mir und anderen schenken mag, einen Raum, der Heilung bringt. Das Weben ist ein Gebet und so komme ich in einen Trancezustand. Auf meinen Beutel webe ich eine weiße Schlange, die sich ihren Weg durch die Elemente bahnt, sie miteinander verbindet. Sie ist Ausdruck der universellen Kraft, die alles durchströmt, die ursprüngliche, pure Lebensenergie, die alles physische belebt und durchdringt. Ich habe dieses Ritual unterschätzt, es setzt starke Kräfte frei. Ich schwitze, mir ist heiß, in meinem Körper stellt sich etwas um, das ich nicht zu benennen vermag. Als die Sonne im Zenit steht, beende ich mein Ritual um anderen Geburtstagsfestivitäten nachzugehen, nicht ahnend, dass ich mir damit keinen Gefallen tue. Wie ich später begreife braucht ein solches Ritual mehr Platz und Raum und ist fertig, wenn es rund ist, nicht, wenn ich eine Verabredung habe. Und so kommt es, dass ich innerlich abwesend meinen Geburtstag „feiere“, ein Teil meiner Selbst findet nicht in die kolumbianische Alltagsrealität zurück. Ich brauche ein paar Tage und durchlaufe einen Erkenntnisprozess, um diese Zusammenhänge in mir aufzudecken. Und so habe ich Hausaufgaben vom Leben. Ich will lernen diese Art von Ritualen tiefer zu verstehen, sehne mich nach Lehrern und Vorbildern.
Ich kann die Bedeutung von Übergangsritualen, wie sie in jeder Kultur vorhanden waren bevor der vermeintlich moderne Mensch sich aus der Verbindung mit sich selbst und der Natur entfernte, nicht genug betonen. Das Leben besteht aus Zyklen und Abschnitten, die durch Schwellen verbunden sind. Diese Abschnitte und Zyklen in meinem Leben zu würdigen ist der Boden, der Fahrplan für mein Leben als Mensch. Ich möchte an dieser Stelle zwei Bücher empfehlen, die meine hungrige Seele sehr genährt haben: Geflochtenes Süßgras von Robin Wall Kimmerer und Naturrituale von Wolf Dieter Storl. Das in diesen Büchern zusammengetragene Wissen ist Medizin für alle, die nach altem Wissen dürsten. Wir tragen dieses Wissen unserer Ahnen in uns und oft reicht ein äußerer Anstoß, um es zu aktivieren. Und wie es mich aktiviert, ich will so viel lernen! Die Neugier und Wissbegierde, die mir wie vielen anderen auch, in 12 Jahren an deutschen Schulen ausgetrieben wurde, flutet mich jetzt. Und so finden wir uns einige Tage später, nachdem ich zwei Kilogramm handgesponnene Wolle in Villa de Leyva gekauft habe (in meinem Backpack trage ich nebst halben Musikstudio mit Interface, Mikrofon und DAW Controler bereits zwei Webrahmen mit mir herum), um weitere Gürtel zu weben, in Sasaima wieder. (…)
Zwei Stunden vor der Zeremonie kommen wir am Feuer zusammen, um Rapé zu teilen. Rapé ist pulverisierter Tabak, gemischt mit Asche heiliger Feuer und wird über ein Blasrohr in die Nase appliziert. Ähnlich einer Backpfeife bringt erst der Schmerz in der Nase in den gegenwärtigen Moment, und kurze Zeit später, wenn der Tabak seine Wirkung entfaltet, zieht er das Bewusstsein tief in den Körper. Die Gedanken werden sill - Präsenz. Omars Rapé ist stark und lässt die Medizinkraft seiner Arbeit erahnen. Kurz vor Beginn der Zeremonie erhält er einen Anruf. Freyda, der die Zeremonie musikalisch begleiten soll, sagt ab und bietet den nächsten Tag an. Wir überlegen hin und her. Ich fühle mich bereit für die Zeremonie, fühle mich wie in einengender Kleidung, bereit eine alte Haut abzustreifen. Auf dem Weg nach Sasaima habe ich mein Portemonnaie mit einer staatlichen Summe an Pesos verloren und am ersten Abend in Sasaima geht mein Handy kaputt. Ich fühle mich stagniert. Seit meinem Medizinbeutel Ritual fühle ich mehr denn je, dass sich jenseits meiner greifbaren Selbstwahrnehmung eine Kraft ausdrücken will, die mein Selbstbild und mein Ich in viele Teile zerspringen lassen wird, um es neu zusammenzusetzen. Rückblickend bin ich Steffen dankbar, dass er sich entscheidet - kein Yagé ohne Musik, denn die Musik trägt. Sie trägt, wenn man sich kotzend nach vielen nächtlichen Stunden in der dunklen Maloca dem reinigenden Geburtsprozess der eigenen Seele hingibt. Sie trägt und hält, wenn nichts mehr hält. Und so befinde ich mich genau einen Tag später in diesem Prozess wieder. Nachdem ich anfänglich dachte, die Medizin wirke nicht bei mir, weil die anderen schon umliegende Büsche und Toiletten aufsuchten, um sich der inneren Gifte zu entledigen, während ich immer wieder einnickend darauf warte, dass die kolumbianische Schlagermusik, die von einem nahliegenden Haus zu uns herüber dröhnt, endlich verstummt und die sich anbahnende Übelkeit mich in einen emotionalen Verarbeitungsprozess führt, packt mich nach etwas vier Stunden eine Wucht, wie sie mir bis dato nicht bekannt war. Weiblicher kollektiver Schmerz steigt aus meinen Zellen auf und lässt mich erbrechen. Es ist der Schmerz meiner Ahninnen und der Schmerz aller Frauen. Er kommt aus der Tiefe meines Beckens und gleicht in seiner Qualität einem Schrei, der die Welt erzittern und zerfallen lassen würde. Und so zerfällt auch meine Welt. Es ist der tiefste Schmerz, den ich je gefühlt habe. Ich lege meine Schwingen um diese Welt, um den Schmerz, der so unerträglich ist, dass ich breche, dass mein Herz gebrochen ist. Es ist der Schmerz, den die Erde fühlt - ausgebeutet, missbraucht und missachtet. Es ist der Schmerz, den wir Frauen (und Männer) tragen. Der Schmerz von Beschneidung, Gewalt, den Schmerz der Frauen, die in Folterkammern und Scheiterhaufen ihr Leben ließen. Es ist der Schmerz, der unter all der Trennung, der Stumpfheit und Verbindungslosigkeit unserer Welt liegt, der zu Zerstörung, Krieg und Gewalt führt. Ich fühle ihn und so breche ich innerlich auf - in den ausgebreiteten Schwingen meiner Seele. Es ist das Umarmen von Schmerz und ich weiß, dass er sich darüber befreit und transformiert. Ich spüre die Erfahrungen meiner Ahnen in meinem Körper, fühle meinen Großvater in der Hölle des Kriegs, fühle wie er sich fühlte als einer von zwei Überlebenden einer ganzen Kompanie. Ich fühle seine schwarzgefrorenen Füße auf der Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft. Unsere Leben sind verwoben, auch wenn wir uns nie kennengelernt haben. Mit zitterndem, verkrampften Körper kauere ich auf dem Erdboden und kotze das alles aus. Ich fühle die Reinheit meiner Seele. Wie ich nichts davon bin, wie diese Erfahrungen für eine Zeit ein Teil von mir sind und jetzt wieder gehen, wie ich dadurch Heilung bringe, dass ich sie durchlichte, sie erfahre und transformiere. Icaros und Musik wärmen mein Herz. Ich singe selber immer wieder, in diesem erweiterten Bewusstseinszustand erhebt sich meine Stimme wie ein Kolibri im Raum und tanzt mit dem Göttlichen. Schönheit ergießt sich in alle Winkel meines Seins. Würde. Ich frage mich, ob jemand ein Licht angemacht hat, denn plötzlich umgibt mich gleißendes Licht. Eine weitere Einsicht, die ich habe ist, dass viele von uns hier sind um den kollektiven Aufwach- und Sterbeprozess der Menschheit in die Liebe zu begleiten. Als Älteste, als Seelen, die die Erfahrungen unzähliger Inkarnationen in sich tragen und aus ihrer Verbindung mit der Quelle schöpfen können. Es geschieht in tiefer Hingabe und ist das kraftvollste, was ich je gefühlt habe. Mit dem sehnlichst erwarteten Sonnenaufgang schließen wir die Zeremonie. Omar klopft unsere Körper mit eine kolumbianischen Brennnessel ab und hilft uns wieder in der physischen Welt zu landen.
Über Krisen und Wunder
Hinter uns liegen zwei sehr herausfordernde Wochen, es fühlt sich an als hätten wir den Nullpunkt unserer Reise durchschritten. Während ich diese Zeilen abtippe, liege ich im Bett im huaca huaca, einer Unterkunft im Dschungel, die man nur über einen 20 minütigen Pfad durch den Dschungel erreicht und gebe mich einer tiefen Erschöpfung hin, ich habe meine Mondzeit und es fühlt sich an als würde ich dadurch physisch und emotional ein Kapitel schließen, einen ganzen Abschnitt unserer Reise. Fünf Monate sind wir bereits unterwegs, vier davon haben wir in Kolumbien verbracht. Seit etwa 3 Wochen sind wir in Putumayo, in der Nähe von Mocoa - auf der Suche nach einem Schamanen, einem Taita, der mit uns arbeitet. Ich bin tief dankbar für unseren Feinsinn und unser Wachsein, es bewahrt uns hier vor Katastrophen. In den letzten Wochen sind uns so viele Geschichten und Erfahrungsberichte über Katastrophen Ayahuasca Zeremonien hier zu Ohren gekommen, dass ich am liebsten das Weite gesucht hätte. Von Taitas, die sich schlafen legen nachdem sie die Medizin ausgeteilt haben bis hin zu Taitas, die ihre Macht missbrauchen und sektenähliche Strukturen aufbauen und es sogar zu sexuellem Missbrauch kommt. Um Mocoa herum gibt es in etwa 80 Taitas. Es zieht viele Westler an, die nicht selten völlig blauäugig einfach mal ausprobieren wollen, was Ayahuasca so „macht“ oder gar eine neue „Droge“ kennenlernen wollen. Die Folgen sind fatal, wir sind einigen Menschen begegnet, die sich danach völlig überfordert mit der Erfahrung und den Umständen in der Welt zurecht finden müssen bzw. Menschen, die in Zeremonien waren, die unter unmenschlichen Bedingungen statt finden und in meinen Augen einen guten Rahmen für Integration und Aufarbeitung bräuchten. Zeremonien, in denen Individuen in absolute Notsituationen geraten (innerlich, aber auch körperlich) und keinerlei Unterstützung erfahren. In mir ist viel Fassungslosigkeit und ich finde es wichtig, diese Seite der „Medizinarbeit“ sichtbar zu machen, Bewusstsein zu schaffen, was hier auch passiert. Der Kapitalismus wütet auch hier und zerfrisst Kultur und Werte, was einst Medizin war, ist jetzt zum Objekt anderer Interessen geworden.
Unsere erste Unterkunft ist ein Hostel, geführt von einem Kolumbianer und einer Französin, die vor 6 Jahren ihren Taita entdeckt haben und seitdem treu jede Woche mit ihm Ayahuasca trinken. Ich habe schon vorher im Internet ein Fotos ihres Taitas gesehen und habe ein klares inneres „Nein“ dazu. Der Ort, an dem sie leben ist schön, er liegt abseits der Hauptstraße, nah am Fluß und wir lassen uns dort nieder. Etwa 2,5 Wochen verbringen wir hier, knüpfen Verbindungen mit anderen Reisenden und richten uns innerlich ein. Wir haben eine kurze Verabredung mit einem Taita gehabt, der in Yunguillo lebt, einem 2 Stunden von Mocoa entfernten Inga Reservat. Ein Blick in sein Gesicht reicht uns beiden und wir haben die klare Intuition mit ihm arbeiten zu wollen. Er strahlt Wärme und Kraft aus. Wir werden nach meiner Mondzeit mit den Zeremonien beginnen. Yagé nehmen und gleichzeitig bluten ist traditionell nicht erlaubt und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Also warten wir und warten und warten.
Eines morgens bitten uns die beiden Hostelinhaber zu einem Gespräch. Wir müssen den Ort verlassen, wenn wir nicht mit ihrem Taita Zeremonien machen wollen. Für mich ist das ein Schreck, ich hatte mich auf den Ort eingestellt und eingelassen. Die letzten drei Tage haben wir außerdem unser kleines Cabana verlassen müssen, um für eine Woche Platz für andere zu machen. Wir sind in der Zeit in einem kleinen, dunklen und feuchten Zimmer in ihrem Haus untergekommen. Alles fängt dort an zu schimmeln. Steffens Backpack ist geschimmelt, sein Trommelschlägel, unsere Kerupes, unsere Kräuter und Tabak… alles riecht muffig und feucht. Es gibt in Mocoa nicht viele Hostels, die gut gelegen sind und verzweifelt ziehen wir paar hundert Meter weiter in ein Hostel. Hier verbringen wir weitere fünf Tage und kommen in eine tiefe Krise. Das Hostel ist der gottverlassenste Ort, an dem wir bis jetzt waren. Niemand kümmert sich um irgendetwas, die Küche ist völlig heruntergewirtschaftet, vieles ist kaputt, es gibt nur eine Gabel. Unser Zimmer hat nur eine Wand und ist an drei Seiten offen, ein dünner Vorhang ermöglicht etwas Abschirmung zur Umwelt. Bei einem Sturm kauern wir uns im Bett zusammen, der Wind peitscht durch das Zimmer und reißt eine Gardinenstange samt Gardine ab. Wozu sind wir hier? fragen wir uns. Unseren ganzen Aufenthalt haben wir auf unsere Zeit im Dschungel hingearbeitet und nun sind wir hier, in einer Bruchbude, in einem Energiefeld, das eher traumatisch als heilsam ist und ich habe weder die energetischen noch finanziellen Resourcen, das Land zu verlassen und irgendwo neu auf Suche nach einem Heilungsfeld zu gehen. In mir taucht die Frage auf, ob ich nicht einfach zurück nach Deutschland gehen soll. Es wirkt so als würden uns die Türen hier verschlossen bleiben und wir sind an einer Grenze. Wir haben zwar einen Taita gefunden, dem wir vertrauen, dennoch wirkt es gerade absurd die innere Arbeit zu beginnen, wenn wir keine sichere, unterstützende Umgebung haben, keine Menschen, mit denen wir uns verbunden fühlen. Ich gehe durch einen inneren Transformationsprozess, weine viele viele reinigende Tränen. In einer Nacht träume ich, dass ich selbst in einer Zeremonie bin. Ich verstehe die Lektion, die wir gerade lernen, verstehe, wie sie mir sagt, geh nach innen. Lass das Außen los, geh nach innen, in deinen Körper, dort ist das, was du brauchst. Und ich lasse los, gehe nach innen. Morgens wache ich auf und sehe einen Widder vor meinem inneren Auge. Er sagt mir, wir sollen nicht aufgeben, sondern weiter gehen. Er hilft mir nicht in Verzweiflung zu zerfließen. Er zentriert mich und gibt mir Kraft. Jetzt wird alles gut, etwas hat sich verändert in mir. Wir müssen an einen neuen Ort, so viel ist klar. Dieser Ort hier nimmt von uns, er gibt uns nichts. Wir haben Glück. Wir sind im Kontakt mit dem huaca huaca und können einen günstigen Preis aushandeln, sodass wir es uns leisten können und werden einen Tag später von einem Pferd abgeholt, um unsere Unmengen an Gepäck zu transportieren. Ich fühle mich so als wäre ich durch ein Tor in eine andere Welt geschlüpft. Die Farben um mich herum sind stärker, ich sehe so so viel Schönheit in allem. Ich weine Tränen der Dankbarkeit als wir im huaca huaca ankommen. Mein persönliches Highlight; eine Feuerstelle bei der Küche, wo auf offenem Feuer gekocht werden kann. Ich koche uns eine Suppe. Auf dem Feuer kochen zu können ist tiefe Medizin für mich. Als ich damals ein Jahr in Indien lebte, haben wir immer auf dem Feuer gekocht, einen Herd gab es nicht. Zu jener Zeit aber konnte ich es noch nicht so schätzen wie jetzt. Glückselig sitze ich neben dem Feuer während die Flammen am Topf empor schlagen und das Gemüse garen.
Dieser Ort scheint eine Art Exil zu sein. Seit einem halben Jahr wohnt San hier, ein Franzose, und malt. Er malt von morgens bis abends, seine Leidenschaft und Freude ist wunderschön. Auch er ist durch die Taita - Schule gegangen, hat viele Taitas kennengelernt und viele desillsusionierende Erfahrungen gemacht. Er stand sogar vor einem indigenen Tribunal, weil er sich für zwei Frauen einsetzte, die sexuelle Gewalt innerhalb einer Taita Community kundgegeben hatten und hätte für seine Aussagen ins Gefängnis gehen können. Es ist brisant. Und es besteht Hoffnung. San erzählt von seinem Weg, davon, dass er jemandem gefunden hat mit dem er den Yagé Weg geht, in völligem Vertrauen. Er hat tiefe Heilung erfahren und seitdem ergießt sich seine Kreativität. Wir schöpfen neuen Mut, erinnern uns an unsere Ausrichtung. Es gibt die guten Taitas, die jenigen, die nicht aus monitären Interessen heraus Pflanzengeister missbrauchen, sondern die im Dienste ihres Tribes, im Dienste der Menschheit stehen und aus dem Herzen heraus geben können. Wir wissen das. Aber es braucht Geduld und viel Feinsinn, um diese Orte zu finden und ja vielleicht auch die ein oder andere Prüfung.
Wir tauschen uns viel aus über unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen hier, ein weiterer Reisender kommt hinzu. Er hat ein Ayahuasca Retreat nach zwei Zeremonien abgebrochen, nachdem er dort in körperlichen Schmerzen keinerlei Hilfe erfahren hat bzw. nicht einmal wahrgenommen wurde und sogar anderen noch half, die auch in Not waren. Er fordert sein Geld zurück, bekommt die Hälfte zurück und noch am selben Tag wird ihm genau diese Summe wieder geraubt. Nachts träume ich, dass ein Verrückter auf einem Einrad kotzend die Kasseler Wilhelmshöherallee entlang radelt und ich ihn einfangen muss. Immer wieder hält er an. Als ich ihn endlich erwische, um ihm zu helfen, versucht er mich umzubringen. Der Wahnsinn hier schwappt schon auf meine Traumwelt über. Ich bin froh so viel Abstand dazu zu haben, selbst nie einer solchen Erfahrung hier ausgeliefert gewesen zu sein.
Die Geburt des Lichts - Ein neues Leben Wir haben alles bekommen, wonach wir gefragt haben, alles, wonach wir gesucht haben und mehr. Ich fühle mich als stände ich unter einem Goldregen. Das Blatt hat sich gewendet. Die letzten Wochen im huaca huaca waren ein großer Segen. Es ist alles eine große Verabredung von Seelen. Viele der Menschen, die gerade im huaca huaca sind haben aufrichtige, tiefe Absichten um mit der Medizin zu arbeiten. Es fühlt sich nach Familie an, ein warmer Kreis von Freunden. Viki und Janeth, die das huaca huaca leiten und jeden Tag kochen für alle, sind Teil der Familie. Nach einiger Zeit tut sich eine neue Möglichkeit für eine Ayahuasca Reise auf. Ich mag das Wort Ayahuasca verwenden, denn es bezieht sich auf die Pflanze als weibliches Wesen, madre ayahuasca, Mutter Ayahuasca. Yage hingegen ist männlich, es heißt hier in Kolumbien padre Yage, Vater Yage. San, der hier seit einem halben Jahr residiert und mit vielen unterschiedlichen Taitas Ayahuasca genommen hat, nimmt uns mit zu Robinson. Auf einem kleinen Stück Land weiter im Dschungel hat Robinson ein Permakulturprojekt. Er ist kein Taita und gibt auch nicht vor einer zu sein. Er ist auch nicht „indigena“. Er hat selbst viel mit der Medizin gearbeitet und teilt nun einen Raum. Es ist sehr besonders. Er ist ein sehr sensibler Mann mit starken weiblichen Qualitäten, der viel Raum gibt und sich im Hintergrund aufhält. Auch die Musik ist sehr diskret, nur zart im Hintergrund. Wir sind viel in Stille und Meditation, was möglich ist, da die Menge an Medizin auch nur gering war. Begonnen haben wir den Prozess mit einer ortiga limpieza, einem Abklopfen des Körpers mit Brennnesseln. Ich wehre mich anfangs innerlich dagegen, nach ein paar Minuten aber genieße ich das Brennen auf der Haut und die Hitze im Körper. Die Brennessel aktiviert das Feuer im Körper, bringt stagnierte Energien ins Fließen. Danach machen wir ein Pflanzenbad. In einem großen Kessel haben wir verschiedene Kräuter (hierbas amargas - bittere Kräuter) gekocht und mit einem Eimer laufe in zu einem Wasserfall auf dem Grundstück, um mich mit dem Sud zu übergießen. Mit jeder Schale, die ich über meinem Kopf entleere, bete ich. Danach kommen wir zusammen und Robinson schenkt Ayahuasca aus. Mein Reise ist ganz sanft, ganz anders als meine erste, in der mich die Urkraft gepackt hat und mich kotzen lassen hat bis ich nicht mehr konnte und nicht mehr wusste, wo oben und unten war, wer und wo ich war. Eine Ahnin kommt am Anfang und legt ihre Hände auf meine Füße, meine Füße werden warm. Liebe umhüllt und durchströmt mich. Ich fühle mich gehalten und geliebt auf eine Weise, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben getan habe. Wie eine Mutter nimmt sie mich in den Arm, sie ist eine Mutterpflanze. Ich kann mit ihr sprechen, ihr Fragen stellen. Ihr Pflanzenspirit, ihr Geist kommuniziert mit mir. Sie sagt mir, dass wir nach Kolumbien gekommen sind, um 6 Wochen lang einmal wöchentlich Ayahuasca mit Antonino aus Yunguillo zu trinken, wir haben einen seelischen Auftrag hier. Es ist wichtig, dass wir zwei getrennte Räume haben für uns in der Zeit danach, damit wir unsere Themen nicht vermischen. Sie zeigt mir wie leicht es für uns als Paar ist, uns in Projektionen zu verfangen und gerade in einem so öffnenden Prozess wie in den kommenden Wochen, ist es wichtig, dass jeder bei sich bleibt, seinen eigenen Weg mit der Medizin geht. Einen eingenen Weg und gleichzeitig gemeinsam. Wir sollen den Prozess gemeinsam machen, wir werden energetisch Raum für einander halten. Es ist nicht unüblich für Paare, wie wir später hören, Prozesse gemeinsam zu durchlaufen. Wenn einer von beiden in tiefen Schmerz und Dunkelheit gerät und dann in eine Reinigung kommt, die sich über Erbrechen, Schreien, Weinen und so weiter ausdrückt, ist der andere meist ruhig und präsent. Oft wechselt es sich ab, mal der eine, dann der andere, aber selten geichzeitig. Die energetische Verbundenheit zwischen Paaren kann so hoch sein, dass es eine gemeinsame Arbeit ist. Nach der Zeremonie mit Robinson bin ich überflutet mit Freude und Frieden. Alles macht auf einmal Sinn. Unsere Reise, unsere Suche. Es hat sich alles angefühlt wie eine große Prüfung. Fünf Monate sind wir nun unterwegs auf der Suche nach einem Menschen, einem Schamanen, der mit uns arbeitet. Fünf verdammt lange Monate. Wir haben so viel gesucht, durchwandert. Die Zeit war bis auf einige Abschnitte der Reise nicht leicht. Wir haben uns von einer Desillusionierung zur nächsten gehangelt, so scheint es mir. Durften viel Romantisierung über indigenes Leben hier aufgeben, die Wunden durch Kolonalisierung und Kapitalismus erkennen und fühlen. Den Schatten begegnen, der Dunkelheit begegnen und wir haben nicht aufgegeben. Es hat sich gelohnt, es hat sich unendlich dolle gelohnt. Die Woche nach der Zeremonie mit Robinson ist intensiv. Ich suche eine neue Unterkunft für mich, bin das erste Mal seit 5 Monaten wieder für mich. Ja, ganze fünf Monate haben wir uns ein kleines Zimmer geteilt, haben jeden Tag miteinander verbracht, alles geteilt. Es ist bemerkenswert wie friedvoll wir diese Herausforderung gemeistert haben. Jetzt aber brauchen wir jeder wieder mehr Raum für sich. Mein Kronenchakra ist nach der Zeremonie völlig offen. Ich fühle mich als hätte ich eine Tür zum Seelischen geöffnet und weiß, dass sie sich für die kommenden sechs Wochen nicht schließen wird. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ein weißes Licht über meinem Kopf und einen Adler. Es ist sehr anstrengend so seinen Alltag zu bestreiten, ich sehne mich nach Erdung. Ich schlafe nachts nur noch bis 3, 4 Uhr und habe so viel kreative Energie, dass ich schon um 4 Uhr morgens beginne zu malen. Wir treffen Taita Antonino ein weiteres Mal, um die kommenden Zeremonien zu besprechen. Mein Herz geht weit auf, wenn ich ihn sehe. Er besitzt eine Wärme und Kraft, die ich noch nie bei einem Menschen wahrgenommen habe. In seinen Augen leuchtet das Feuer der Erde. Ich male ein Bild für die erste Zeremonie mit ihm. Sie wird an Solstice, zur Wintersonnenwende stattfinden. Stundenlang fühle ich mich in die Zeremonie ein und male, was ich dazu fühle. Es wird eine große Arbeit werden, so viel weiß ich. In der Nacht vor der Zeremonie träume ich, dass Antonino den Ort für die Zeremonie ändert. Am nächsten morgen stehe ich auf und kurz später erreicht mich eine Nachricht von Steffen - die Zeremonie findet in Yunguillo statt und nicht wie geplant in der Nähe von Mocoa. Die Synchronizitäten häufen sich. Unser feinsäuberlich geplanter Tagesablauf für eine optimale Vorbereitung für die Zeremonie wird über den Haufen geworfen. Yunguillo ist 2 Stunden von Mocoa entfernt und so müssen wir sofort los, um dort überhaupt hinzukommen. Im strömenden Regen machen wir uns auf den Weg. Die Anreise hat Symbolcharakter. Genau wie die ganzen 5 Monate vorher auch. Es regnet, wir laufen vom hostel durch den Dschungel Richtung Stadt. Beim Überqueren eines kleinen Flußes rutscht Steffen aus. Später sitzen wir völlig erschöpft in einem privaten Auto nach Yunguillo, das offizielle Taxi war bereits ausgebucht und es fährt nur 3 x am Tag. Wir nehmen noch ein paar Dorfmitbewohner von Yunguillo mit, die zurück in die Heimat wollen. Nach etwa 15 Minuten auf der Hauptstraße biegen wir auf einen steinigen Weg ab, der die nächste Stunde durch den Dschungel führt. Der Fahrer hört auf voller Lautstärke Musik. Nach der Fahrt sind wir fix und fertig, am liebsten würde ich schlafen. Aber weiter gehts zu Antonino. Wir werden in seinem Haus in Empfang genommen. Es ist eine Baustelle zu diesem Zeitpunkt. Seine ganze Familie lebt dort, sie sind sehr warm und empfangen uns offenen Herzens. Yunguillo ist unglaublich. Es ist das Land der Inga, des Inga tribes. Auf diesem Land leben sie schon sehr sehr lange und man fühlt es. Ich bin tief berührt. Auch wenn sie Handys haben, kleine Läden mit Chips und anderem Kram, Motorrad fahren und Fussball spielen, gibt es einen Frieden, eine Verbundenheit zwischen den Menschen, die ich nicht kenne, die mir noch nie begegnet ist. Ich schaue mich um. In einem Baum sitzt eine Frau am Handy, lange sitzt sie dort. Kinder spielen überall, am nächsten Tag begenen wir ihnen, wie sie im reißenden Fluss schwimmen und den ganzen Tag spielen. Es ist tatsächlich wie im Buch. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber so ist es. Es kommen kaum Autos hier her, das macht viel Frieden. Sie haben hier ihre eigene Landwirtschaft, bzw. wächst vieles von alleine, Bananenpalmen, Avokado Bäume und Kakaobäume sind Teil der natürlichen Umgebung. Sie spritzen nicht, wozu auch? Es ist Fülle. Der Tag neigt sich dem Ende, es ist noch nicht ganz klar, wie groß die Gruppe sein wird. Am Ende sind wir acht Teilnehmer, so wie ich uns gemalt habe. Solstice ist ein besonderer Tag, es ist kein Zufall, dass unsere erste Zeremonie genau auf diesen Tag fällt. Die längste Nacht und die Geburt des Lichts. Die Maloca ist rund, hat ein Strohdach und ein Feuer in der Mitte. Das Feuer in der Mitte ist für mich essentiell, es hält den Raum, es zentriert, es transformiert den Raum. Ich weiß nicht, ob ich jemals nochmal Ayahuasca nehmen möchte ohne ein Feuer in der Mitte zu haben. Nachdem wir unsere Hängematten im Kreis aufgespannt haben geht es los. Sein Ayahuasca schmeckt mir gut, mein Körper versucht es aber bereits nach einigen Minuten erfolglos heraus zu würgen. Ich weiß, dass es sehr stark ist und dass ich mich jetzt nur noch hingeben kann. Ich erhebe mich aus meiner Hängematte und setze mich auf den Boden, denn ich fühle, dass ich den Boden brauchen werde. Ich habe vorher eine Kerze in den Toilette platziert, denn wir werden dort Licht brauchen. In meiner letzten Zeremonie mit Robinson habe ich viel, viel Zeit auf der Toilette verbracht und der Ort kann sehr dunkel und einsam werden, gerade, wenn man immer wieder den Moment verliert und innerlich reist, geschieht es leicht, dass man stundenlang auf Toilette sitzt ohne es zu merken. Bei meiner letzten Reise mit Robinson, saß ich lange mit Durchfall auf dem Klo als plötzlich sein kleiner Hund kommt, an der Toilette hochspringt und sich die Klopapierrolle schnappt und davon rennt. DIe Situation ist so absurd, dass ich lachen muss. Auch bei Antonino gibt es eine Klopapierkomik. Als ich das erste Mal aufs Klo renne, warnt mich Steffen, dass in der Klopapierrolle eine kleine Maus wohnt. Ich vergesse es sofort und erschrecke mich riesig, als ich nach der Klopapierrolle greife und mir eine kleine aufgescheucht Maus entgegen springt. Wir erschrecken uns gleichermaßen, panisch verlässt sie die Klopapierrolle. Aber genug der Klopapierrollen zurück zur Zeremonie. Meine Reise beginnt mit einer Einführung durch Ayahuasca. Sie sagt mir, was auch immer geschieht, ich solle am Licht festhalten. Wie eine Fackel soll ich mein Licht hochhalten und nicht loslassen, mich darauf konzentrieren, komme was wolle. Und ich tue es. Ich tue es die ganze Reise lang. Ich tue es, als ich viele Stunden später am ganzen Körper zitternd vor innerer und äußerer Kälte alleine 2 Stunden auf dem Klo sitze und um Bewusstsein im Moment ringe, als ich wieder tief aus meiner Gebärmutter den Schmerz meiner Vorfahrinnen auskotze und heraus schreie, den Schmerz der Erde durch mich durch fließen lasse und als ich komplett die Kontrolle verliere und ins Einssein gehe. Der ganze Prozess ist ein Gruppenprozess. Steffen erzählt mir später, dass als ich in meinem tiefsten Prozess mit der Dunkelheit war und Antonino kam um mich zu unterstützen, andere rausrannten um sich zu übergeben und Antonino selbst danach Erbrechen musste. Der Prozess ist hart, wir sind ein Schiff, dass gemeinsam durch den Sturm geht. Wenn Antonino beginnt mit jemand anderem zu arbeiten, merke ich wie es mich mitreißt, wie es sich in mir aufbäumt und mein Körper mitarbeitet. Ich erreiche einen Punkt, wo ich nur noch schreien will, dass es zu viel ist, dass ich nicht mehr kann. Nur, dass ich nicht schreien kann, nicht einmal sprechen kann ich. Diana, die auch Teil der Gruppe ist und schon viele Jahre gemeinsam mit ihrem Partner den Weg mit Antonino geht, unterstützt mich. Ich höre sie weinen als ich schreie, als ich für die Erde schreie. Sie weiß, dass es nicht nur mein persönlicher Prozess ist. Dieser Prozesse sind teils individuell und aber immer wieder kollektiv. Ich spüre, wie ich Dinge durcharbeite, die nicht mein eigenes sind. Es ist eine seelische Arbeit, ein Dienst für die Menschheit. Sie kommt danach zu mir, hilft mir mich wieder in meinen Körper einzufinden und dankt mir „hiciste un gran travajo - eine große Arbeit hast du getan“ sagt sie mir. Erst durch ihre Worte erkenne ich, was ich tue. Ich liege in meiner Hängematte, völlig dehydriert und erschöpft und sobald es mir möglich ist, krieche ich zum Feuer, um meinen völlig kalten Körper aufzuwärmen. Es ist vollbracht, ich weiß es. Wir haben es getan. Sie haben mir Raum gehalten dafür, dass ich durch diesen Schmerz gehen konnte. Alleine wäre es mir nie möglich gewesen. Ich habe tiefste Demut vor Antonino. Es gab Momente, in denen er gesungen hat und mein ganzer Körper nur von seinem Gesang anfing zu zittern und zu beben. Er macht immer wieder Laute, die ihrer Qualität einem Wildschweingrunzen oder einem Grollen eines Leoparden ähneln. Noch nie habe ich eine so wilde Kraft in einem Menschen gespürt, ein so große Nähe zur Urkraft. Seine Stimme ist wesentlich dabei, darüber bringt er sie zum Ausdruck. Die Icaros, Medizinlieder, die er chantet sind nicht schön, sie sind reine Kraft. Ich fühle mich tief gesegnet so einem Menschen begegnen zu dürfen und für eine Zeit nun einen gemeinsamen Weg zu gehen. Auf dem Rückweg spreche ich länger mit seinem Sohn, der auch in der Zeremonie dabei war. Ich frage ihn, ob er eines Tages Taita wird. Er sagt, er weiß es nicht, dass weiß nur die Medizin, Ayahuasca. In den Familien der Taitas trinken alle gemeinsam Ayahuasca, er begann im Alter von fünf Jahren und ist jede Woche dabei. Wenn ein neuer Taita gefunden werden soll, treffen sich viele Taitas aus unterschiedlichen Familien des Stammes, kommen als Rat gemeinsam zusammen um Ayahuasca zu nehmen und die Pflanze zu fragen, wer den Weg des Taitas gehen darf. Ayahuasca entscheidet dann, sie sind nur Botschafter. So wird die Reinheit der Arbeit bewahrt. Es ist kein leichter Weg ein wahrer Taita zu sein. Es bedeutet sterben, sterben und noch einmal sterben. Es ist ein Menschheitsdienst. Diese Zeremonien zu halten und die Energien zu lenken und zu reinigen ist für mich die größte Arbeit, die ich hier auf der Erde kenne. Sie übergeben sich genauso in den Zeremonien, arbeiten Themen mit durch. Die Kraft die sie dafür brauchen ist enorm, sie sind eins mit Ayahuasca.
Der nächste Morgen nach der Zeremonie ist sehr lichtvoll. Das Licht ist geboren, wir fühlen es alle. Im Morgengrauen gibt es noch eine ortiga limpieza für die die wollen. Mit sperrangelweitoffenem Mund sitzt ein Schweizer neben uns und schaut Antonino zu, wie jener Icaros chantend, tiefe Geräusche aus seiner Kehle von sich gebend einen anderen Teilnehmer mit der Brennessel abklopft. Steffen und ich bekommen einen Lachanfall. Wir können gar nicht mehr aufhören, die Szenerie ist so absurd. Später gehen wir im Fluss schwimmen, essen Bananen vom Land und Avokados. Es ist unglaublich wie die Kraft zurück in meine Glieder fährt, wie ich mit jeder Stunde mehr Energie bekomme und am Ende sogar nach 2 Stunden Autofahrt noch den Weg hoch zu unseren Unterkünften schaffe. Am Abend liege ich dankbar in meinem Bett. Es ist vollbracht.
Über Heilpflanzen & Zeremonien
Allein über die Anreise zu unseren Zeremonien könnte ich ein ganzes Buch schreiben, so scheint es mir. Unsere dritte Zeremonie findet in der Nacht vor Silvester statt. Dieses Mal fahren wir keine 2 Stunden nach Yunguillo, in das Reservat der Inga. Stattdessen haben wir eine mehr als 60-minütige Wanderung durch den Dschungel zu Martin vor uns, einem Schweizer, der uns sein Zuhause zur Verfügung stellt. Wir leihen uns Gummistiefel für den Weg. Steffen, der sonst immer akribisch sein Schuhwerk ausschüttelt um Zusammenstöße mit giftigen Zeitgenoßen zu vermeiden, schüttelt seine Stiefel einmal nicht aus und zwei Sekunden später höre ich ihn schreien. Er zieht seinen Fuß aus dem Stiefel und es entfliehen einige Wespen, die sich im Stiefel ein Zuhause bauten. Es dauert ein paar Stunden bis er wieder gehen kann, gerade rechtzeitig um es noch zur Zeremonie zu schaffen. Nach viel hin und her und langer Wartezeit in der Stadt treffen wir die anderen und unseren Taita. Wir machen uns auf den Weg. Meine anfängliche Hoffnung die Gummistiefel vermeiden zu können und den Weg in Sandalen zu bewältigen, muss ich schnell aufgeben. Ich manövriere mich um große Matschlöcher herum, plötzlich rutsche ich aus und stehe bis zu den Knöcheln mit meinen Sandalen im Matsch. Danach laufe ich eine Strecke barfuß bis wir zu einem Bach kommen. Bevor ich reagieren kann, hat sich Taita Antonino schon gebückt und wäscht mir die Füße. Danach nimmt er mir meine Sandalen aus der Hand und wäscht diese auch, ich solle schon einmal vorgehen, es werde ja bald dunkel, sagt er. Seine Fürsorge berührt mich tief. Ich schlüpfe in die Gummistiefel und bin die nächste Stunde dankbar über meine warmen, trockenen Füße. Der Weg ist nicht zu unterschätzen. An einigen Stellen sinkt man schnell bis zu 20-30 cm in den Matsch ein und der ein oder andere hat hier schon Hilfe gebraucht, um wieder auf den Weg zu kommen. Martins Haus liegt auf einem Hügel umgeben von Dschungel. Hier herrscht Stille, keine Autos kein Lärm, nur Dschungelgeräusche. Die Zeremonie ist besonders, auch sie geschieht in Stille. Kein Schreien, wenig Weinen, ab und an übergibt sich mal jemand, aber die meiste Zeit herrscht Stille, wir arbeiten auf anderen Ebenen. Es scheint nahezu als würden alle schlafen, aber es täuscht. Wir reisen alle, unsere physischen Körper ruhen währenddessen in den Hängematten um das Feuer herum.
Am nächsten morgen essen wir Fischsuppe und Bananenkuchen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, dass egal wie anstrengend und herausfordernd die Nacht war, alle doch recht glücklich und zufrieden am nächsten Morgen am Frühstückstisch sitzen und frühstücken. Da kotzt man die ganze Nacht lang durch und freut sich dann morgens über Bananenkuchen und Fischsuppe als wäre nichts gewesen. Als wir wieder zurück sind merke ich dann aber auch, dass unsere Körper Ruhe brauchen und die Arbeit mit Ayahuasca einen Ausgleich erfordert. Die Veränderungen auf energetisch, seelischer Ebene wollen auch ins Alltagsbewusstsein integriert werden. Es ist oft nicht einfach diese Übersetzungsarbeit zu leisten. Da begegnet man in seinen seelischen Reisen dem göttlichen, der eigenen Seele, groß und hell oder dem eigenen Schmerz, ein Abgrund ohne Worte. Und dann schließt sich dieses Tor wieder und man muss seine Rechnungen bezahlen, durch lärmende Städte laufen, eine Krankenversicherung erneuern. Es ist ein ausbalancieren, ein Tanz zwischen den Welten.
Über Neujahr ist das huaca huaca ausgebucht und wir verbringen eine Woche an einem anderen Ort, dem Geisterhaus wie wir es nennen. Es ist Silvios zuhause, ein Maestro des Tabaks. Er ist Künstler und gibt Tabakzeremonien und so ist das Haus Museum und zeremonieller Ort zugleich. Malereien schmücken die Hauswände, überall hängen Masken, stehen Skulpturen. Nachts hören wir ihn singen und trommeln, Menschen und Gruppen kommen auf der Suche nach Heilung. Ich habe noch nie ein Haus betreten, dass so voller Spirits, voller Geistwesen ist. Unsere Träume nachts sind wild, immer wieder sind wir in unseren Träumen in Zeremonien. Als ich auf meinem Tablet malen will, habe ich plötzlich eine starre Hand und kann nicht malen. Ich versuche es mehrere Male und gebe es irgendwann auf. Dies scheint nicht der Ort fürs Malen zu sein, etwas übersinnliches hält mich davon ab, es liegt Wort wörtlich nicht in meiner Hand. Nach der ersten Nacht, in der Steffen plötzlich panisch aufwacht, nachdem er in seinem Traum von einer Wesenheit angegriffen wurde, beten wir vor dem Schlafen und räuchern in unserem Raum. Silvio arbeitet ständig mit der geistigen Welt und öffnet Tore zur Anderswelt, es ist nicht ohne in diesen Räumen zu schlafen und hier viel Zeit zu verbringen. Wir lernen über Schutzpflanzen der Schamanen und ich bin dankbar, dass ich meinen Chumbe, meinen Gebärmutterschutzgürtel trage. In den Zeremonien hier wird viel mit unterschiedlichen Pflanzentinkturen gearbeitet, die reinigen und schützen. Oft werden Wurzeln in Alkohol eingelegt und die Lösung dann vom Schamanen auf die zu reinigende Person gespuckt. Unterschiedliche Mischungen von eingelegten Kräutern dienen der Erdung. Am Ende der Zeremonie reinigt Antonino alle Teilnehmer indem er sie mit Blättern abklopft und besingt. Diese Prozedur dauert für alle bis zu drei Stunden, bis die Sonne wieder aufgeht.
Tabak ist eine starke Heilpflanze, zu der viele indigene Völker eine enge Verbindung haben. Abuelo Tabacco, Großvater Tabak. Diese Verbindung hat nichts zu tun mit dem Missbrauch der Pflanze, den wir tagtäglich an vielen Orten der Welt erleben. Tabak wird geopfert, er wird geraucht als Gebet, um sich mit den Ahnen zu verbinden. Er ist das Netz, das verbindet - „El tejido“ - das gewebte Netz. Ich habe eine Weile gebraucht bis ich mich dem Tabak öffnen konnte, tief eingebrannt ist in mir die Ablehnung gegenüber dem Rauchen, so wie ich es kenne. Hier darf ich meine Haltung verändern, korrigieren. Alles ist eine Frage der Haltung, der Energie, der inneren Ausrichtung. Wir beten mit Tabak, wir räuchern uns mit Tabak ab. Im erweiterten Bewusstseinszustand in einer Ayahuasca Zeremonie kann man noch deutlicher die Wirkung des Tabaks spüren. Ich trage in den Zeremonien auch immer einen Amethysten bei mir, den ich vorher für mehrere Tage unter einem Wasserfall platziert habe. Er hat mir schon in vielen Momenten große Unterstützung geschenkt. So lerne ich langsam mir meinen Weg durch die Ayahuasca Welt zu bahnen.
Cascadas Mocoa (Foto nicht von mir).
Nach drei Monaten lassen wir Mocoa hinter uns. Wir haben sechs Ayahuasca Zeremonien hinter uns. Die 6 scheint eine magische Zahl zu sein. Einige der Zeremonien finden in der Maloca des Colleges von Yunguillo statt. An dem College werden neben uns bekannten Fächern wie Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen auch Pflanzenheilkunde unterrichtet. Selbstverständlich gehören zum Curriculum dieses Faches aus Ayahuasca Zeremonien. Ich habe Yunguillo fest in mein Herz geschlossen, auch wenn ich die anfängliche rosarote Brille über die Zeit, die wir dort verbrachten abnehmen durfte. Yunguillo hat tiefe Einschläge überstanden. Im Jahre 2005 kamen Guerilla Krieger und erschossen völlig willkürlich Dorfbewohner. Die indigen Communities erleben dies immer wieder. Nicht zu sprechen von den Spuren die die Kolonialisierung und Christianisierung im Dorf hinterlassen haben. In einer Zeremonie spüre ich aufeinmal die starke Präsenz der Ahnen der Inga. Ich singe für sie, ich singe für ihre Frauen. In keiner der Zeremonien war eine der Frauen der Inga dabei, obwohl mehrere von ihnen es immer wieder angekündigt hatten. Es ist eine sehr männlich geprägte Arbeit. Heilerinnen und Schamaneninnen gibt es in Yunguillo nicht. „Pai“ bedeutet „Danke“ auf Inga. „Pai, pai, pai“ singe ich in der letzten Zeremonie, die in meiner Lieblings-Maloca statt findet. Wir nennen sie die Kakao- Maloca, da sie von zahlreichen Kakaobäumen umgeben ist. Ich empfinde eine Dankbarkeit für die es kaum Worte gibt. Dankbarkeit für Antonino, der ununterbrochen Zeremonien gibt, lehrt und heilt. Die Nächte verbringt er in Zeremonien, tagsüber arbeitet er auf der Baustelle im Dorf. Er verfügt über eine körperliche Kraft von der wir nur träumen können. Dankbarkeit für den Ort, für die erhaltene Tradition der Inga. Dankbarkeit für uns, dass wir mit so viel Mut diesen Weg gehen, den Weg in die Rückverbindung.
Mit dem Aufgang der Sonne beenden wir die letzte Zeremonie. Ich spreche noch mit Antonino über die Inga Ahnen. Er hat sie auch gesehen, sagt er. Sie sind von dort gekommen und einmal durch die Maloca gegangen, er deutet gen Osten. Wir verabschieden uns in dem Wissen, dass wir uns hoffentlich bald wieder sehen. Es gibt Ideen ihn nach Deutschland einzuladen, wer mehr Informationen dazu haben möchte, melde sich gerne bei uns. Danke Yunguillo! Wir sind zu jeder Zeremonie 3 Stunden lang angereist, am nächsten Morgen wieder 3 Stunden zurück. Der Weg war oft anstrengend, je nachdem wo man in den kleinen Jeeps sitzen konnte. Aber es war jede Anstrengung wert.
Jetzt einige Wochen später sind wir in Sibundoy. Es gibt neben einem 30 Kilometer langen Fußweg durch den Dschungel eine Straße von Mocoa nach Sibundoy, die durch eine 3,5 stündige Autofahrt bestritten werden kann. Die Straße trägt zu recht den Namen „Trampoline of death“, sie ist die gefährlichste Straße Kolumbiens. Die Fahrt durch die Berge ist beeindruckend und ich kann die Augen gar nicht schließen vor Begeisterung über die Schönheit der Natur. Wir verlassen die tropische Klimazone Mocoas und begeben uns in die Anden. Die Straße schlängelt sich die Berge hinauf, sie ist an vielen Stellen einspurig. Wolkendecken liegen auf den Hängen und immer wieder können wir nicht weiter schauen als ein paar Meter. Die Berge sind mit dichtem Grün bewachsen, Bäume mit rosafarbener Blütenpracht leuchten in den Wäldern. Immer wieder passieren wir kleine Flüsse, Wasserfälle ergießen sich nahe der Straße. Wir erreichen Sibundoy - Sibundoy ist ein Dorf, das vorallem zwei Gemeinden beheimatet- die Kamtsa und die Inga. Es ist bekannt für lebhafte Traditionen und traditionelles Handwerk. Die meisten Gürtel und der Schmuck, den man in Mocoa kaufen kann, stammt aus Sibundoy. Ich bin neugierig die Menschen hier kennenzulernen und ihnen bei ihrer Handarbeit über die Schulter zu schauen. Ihre Kunst, die jetzt dem Broterwerb dient, hatte einst eine ganz andere Bedeutung. In die Chumbes (Gürtel) weben sie ihre Geschichten ein und halten sie somit fest für die kommenden Generationen. Muster und Farben haben tiefe Bedeutung für sie und sind eine Ode an die Erde, die Sonne, die Elemente, die Pflanzen, Tiere und Menschen. Als wir später mit ihnen sprechen, erzählen sie uns die Geschichten, die sie in Armbänder und Gürtel weben. Aber erstmal kommt alles anders als geplant. Wir haben uns auf der Fahrt nach Sibundoy unterkühlt und den Temperaturabfall unterschätzt. Am ersten Morgen wachen wir krank auf und brauchen eine Woche, um uns zu erholen. In Sibundoy ist es nachts um die 8 Grad kalt. Isolierte Häuser gibt es nicht. Immer wieder wird das Dorf in Wolken gehüllt, es regnet viel. In Decken gekuschelt sitzen wir in unserer Ferienwohnung und putzen uns die Nasen bis sie wund sind. Es ist das erste Mal auf unserer Reise, dass wir so lange aussetzen müssen. Zwischen Glyphosat belasteten Bohnenfeldern hat sich Richard eine kleine Oase aufgebaut. Niedergeschlagen erzählt er, wie seine Bienen gestorben sind. Jetzt pflanzt er viele Blumen, die Kolibris anziehen. Und er hat recht, von unserer Terrasse aus können wir jeden Tag vier verschiedene Arten von Kolibris beobachten, die spielend von einem zum nächsten Blütenkelch fliegen. Die Geschichte der Inga ist auch die Geschichte der Kamtsa. Auch sie haben viel erlitten und durchlitten, ihre Gemeinschaften sind zerrüttet worden, die Sprache und Tradition nur in Teilen erhalten. Es bewegt mich sehr sie zu erleben und ich wünsche mir sie zu unterstützen in dem Maße wie es möglich ist. Wir knüpfen und Kontakte und eine Kamtsa Familie lädt uns zu sich ein. Sie knüpfen Schmuck, weben und haben einen kleinen Laden in Sibundoy. Ich beobachte wie eine junge Mutter kommt und ein Armband für ihren Kleinen kauft, das in einer kleinen Zeremonie eingeweiht wird. Ich spreche mit Berna, sie erklärt mir die Bedeutung, erzählt mir die Geschichten der Ohrringe und der Armbänder. Ich bücke mich um mich samt Ohrringen auf allen Vieren in einem Spiegel zu betrachten, der auf den Fußboden in eine Ecke gequetscht ist. Ich schrecke hoch als mir schallendes Gelächter entgegen kommt und blicke in einen großen Spiegel auf Augenhöhe, den ich vorher nicht wahrgenommen habe. Wir lachen gemeinsam. Später knie ich mich hin um etwas aufzuheben und falle wie ein Käfer auf den Rücken, weil ich einen zu schweren Rucksack trage. Alle lachen, ich lache auch. Sie wird mich niemals vergessen, sagt Berna.