Ich sitze auf einem überdachten Holzplateau und blicke auf den Lago de Atitlan während ich diese ersten Zeilen abtippe. Seine Schönheit ist bezeichnend, erhobenen Hauptes thronen mehrere Vulkane an seinen Ufern, unter der Wasseroberfläche finden sich Relikte aus alten Zeiten, vergessene Maya Kultstätten.
Das letzte Mal, dass ich auf großer Reise war und mein Erleben in niedergeschriebenen Worten zum Ausdruck gebracht habe ist über 10 Jahre her und spielte sich auf einem anderen Kontinent ab. Indien hat mich vieles gelehrt und mir viele Fragen mitgegeben, nachdem ich über mehrere Jahre in jeden Semesterferien oder Zeitlücken in meinem deutschen Alltag in den Flieger stieg, um meine Freunde dort zu treffen, später meinen indischen Partner. Meine Reise jetzt ist es eine andere. Es ist nicht die Abenteuerlust, die mich ruft, ich muss nicht Orte und Eindrücke sammeln, meine Intention fühlt sich stiller an. Aber wieder ist es eine Suche. Eine Sehnsucht nach Rückverbindung, nach Verwurzelung. Es scheint einerseits vielleicht absurd Verwurzelung in einer fremden Kultur zu suchen und andererseits macht es Sinn, wenn man sieht, dass in Zentral - und Südamerika Kultur and Tradition noch einen anderen Stellenwert haben und nicht alles in den Kriegsruinen verschwunden ist.
Ich bin dankbar Deutschland hinter mir zu lassen. Eine graue, enge Wolke hängt über Kassel, über Deutschland. Ich fühle wie sie meinen Körper zuschnürt und mir Lebensfreude nimmt und in mir gibt es dieses Gefühl - hier kann ich nicht atmen. Ich kann nicht tief atmen und ich werde mich nie tief lebendig fühlen. Ich möchte an einem Ort leben, der wild ist und nicht umgeben von rechteckigen, eingezäunten Rasenflächen, auf denen verloren Mähroboter herum schleichen und sich ab und an mal ein Mensch blicken lässt, wenn er denn dann mal Feierabend hat. Ich will an einem Ort leben gemeinsam mit Menschen, die die Erde und die Natur um sich herum würdigen und ehren, in dem Bewusstsein verankert, dass wir ihre Kinder sind und sie uns beschenkt. Ich will morgens wach werden und aus meinem Zimmer einen Schritt nach draußen machen können und Zeugin des Sonnenaufgangs sein, in tiefer Stille und genauso abends die Sonne verabschieden. Ich will die Jahreskreisfeste in Gemeinschaft feiern und gemeinsam unser selbst angebautes Gemüse zelebrieren, wenn Erntezeit ist. Ich will wieder so leben, wie das Leben einst war bevor der Windigo (aus dem Buch geflochtenes Süßgras) seine Klauen tief in die Erde grub und der Mensch seinen Ursprung für viele viele Jahre vergaß. So ist meine Suche nicht nur eine Suche nach Menschen, die noch in tiefer Anbindung und Verbindung leben, um von ihnen zu lernen, sondern auch nach Klarheit und Ausrichtung in mir. Ich trage die Frage in mir, wo wollen wir leben? Mein Partner Steffen und mich verbindet eine gemeinsame Vision und ich habe tiefe Dankbarkeit dafür diesen Weg nicht alleine gehen zu müssen.
Nun sind wir in Guatemala und meine erste Erkenntnis: der Windigo beherrscht nicht nur den westlichen Teil der Welt, sondern auch Guatemala. Ich wusste das schon vorher und trotzdem gab es in mir die kindliche Sehnsucht, eine ganz andere Welt vorzufinden, eine Welt, in der alles besser ist. Und die Welt hier ist ganz anders, aber auch hier beherrschen Handys und Social Media das Bewusstsein, es gibt kaum Geschäfte, in denen das Sortiment an Softdrinks und Chips nicht mehr Platz einnimmt als andere Lebensgrundnahrungsmittel und die Traditionen weichen mehr und mehr der Moderne. San Marcos, eine spirituelle Hochburg am Lake Atitlan ist unser Zuhause für 6 Wochen. Völlig übermüdet nach über 24 Stunden an Flughäfen und einer kurzen Nacht in Guatemala City sitzen wir in einem Shuttle und kommen nach ein paar Stunden am See an. Ich bin erschöpft und gleichzeitig fühle ich mich gut. Es hängt keine enge, graue Wolke über diesen Bergen und Tälern, in den nächsten Wochen fühle ich, wie sich mein Energiesystem rekalibriert und klärt. Die Bootsfahrt über den See ist gewöhnungsbedürftig und nichts für Menschen mit Bandscheibenproblematik. Die Schnellboote haben nicht viel Gewicht und so gibt es mit jeder gebrochenen Welle einen Aufprall auf der Wasseroberfläche und man knallt mit ordentlicher Wucht auf die ungepolsterten Bänke. Ich schaue mich um, niemand zuckt mit der Wimper. Ich setze mich so hin, dass ich im Moment eine Aufpralls meine Beine anspannen kann und mich so ein Stück von der Bank abheben kann, um nicht wie ein Sack Kartoffeln völlig ungebremst auf die harte Bank niedergehen zu müssen. Ich muss über mich lachen, entspannt sehe ich nicht aus.
Die ersten zwei Wochen verbringen wir unten in San Marcos in einem Hostel. Wir haben eine etwa 9 qm große Hütte mit einem Bett, Platz gibt es nicht wirklich. Für unsere Beziehung ist es eine Feuerprobe, räumliche Ausweichmöglichkeiten gibt es keine, da der Hängemattenbereich auch ein Mückenimperium ist. Dazu kommt, dass wir uns nicht wirklich wohl in dem Ort fühlen. Der See mit seiner betörenden Schönheit und tiefen Kraft hat viele Menschen aus dem Westen angezogen, überall finden sich schicke Retreatcenter, ein Yogateachertraining folgt auf das nächste und es gibt es viele Communities um den See. Ecstatic dance, Kakao Zeremonien und Yoga sind hier überall vertreten, überall hängen Plakate, die plant medicine Zeremonien ankündigen und healing Sessions offerieren. Es gibt Läden, in denen man sich das perfekte „spirituelle“ Outfit kaufen kann und der passende Edelsteinschmuck ist auch nicht weit. Blauen Lotus und magische Pilze kann man auf dem Hippie highway zusammen mit Hafermilch und anderen importierten Produkten für einen stolzen Preis erwerben. Nichts davon ruft mich oder resoniert in mir. Ich fühle die alte Wunde zwischen den Einheimischen und den weißen Menschen. Sie ist im Feld. Vor 400 Jahren kamen die spanischen Eroberer und brachten die Kirche. Die Spaltung existiert immer noch, jetzt sieht sie anders aus. Es fühlt sich an wie zwei Parallelwelten. Die weiße-Menschen-bubble, die sich an einem Kraftort eine eigene Welt schafft und die Einheimischen, die ein ganz anderes Leben führen. Wie kann wirkliche Verbindung dieser beiden Welten gehen, frage ich mich. Die Einheimischen verdienen ihr Geld mit den Touristen und so ist es eine Geschäftsbeziehung. Nach zwei Wochen haben wir genug von dem Ort und ziehen uns resigniert und mit einem Gefühl der Desillusionierung auf einen Berg zurück, in ein leeres Retreatcenter, um unsere nächsten Schritte zu planen. Wir verbringen vier Wochen hier. Ich genieße die Natur und den Blick auf den See und habe einige wilde Nächte, die Energie des Ortes ist kraftvoll und bringt viele, alte Themen hoch. Andere Reisende leisten uns immer wieder für ein paar Tage Gesellschaft und so kommt es, dass ich irgendwann mit Emily, einer französischen Reisenden in einem der Hütten sitze und ihr eine breathwork Session gebe. Sie reist tief und ich bin dankbar an die Kraft dieser Arbeit erinnert zu werden.
Ayahuasca - die Meisterin der Heilpflanzen ruft mich schon länger, sie hat mich viel in Träumen besucht und ich fühle mich ihr sehr verbunden. Ich bekomme öfter von Menschen, die meine Bilder sehen gesagt, dass sie Ayahuasca darin sehen und ich schätze es ist meine tiefen Verbundenheit zu den Tier- und Pflanzenseelen, generell zur geistigen Welt, die in meinen Bildern Ausdruck findet und die sie mit Ayahuasca assoziieren, weil Ayahuasca die Tore für diese Art der Wahrnehmung so stark öffnet. Pflanzenmedizin reisen haben sehr an Popularität gewonnen in den letzten Jahren. Auch hier in San Marcos gibt es viele Möglichkeiten dazu und gleichzeitig haben wir bis jetzt keinen Schamanen oder Medizinmenschen getroffen, bei dem wir ein Gefühl von Stimmigkeit empfunden haben. Ich führe es auf einen Mangel von wirklicher Führung und Abwesenheit von Vorbildern zurück, dass es sehr viele Menschen gibt, die Pflanzenmedizin und andere tiefe Heilungsräume öffnen ohne wirklich tief verankert in sich selbst und dem, was sie tun zu stehen. Zu früheren Zeiten gab es Heiler und Schamanen und sie hatten ihren Platz in der Gemeinschaft.
Heiler oder Schamane zu sein war keine Verstandesentscheidung, sondern Schicksal. Einen solchen Weg zu gehen war eine lebenslange Aufgabe und um ihr gerecht zu werden, wurde entsprechend darauf vorbereitet. Viele von uns tragen diese alten Erinnerungen in sich und können auf Fähigkeiten und Wissen zurück greifen und dennoch bedarf es viel innerer Arbeit und Heilung der Psyche geerdete Heilarbeit anbieten zu können. Kurz nach unser geplanten Abreise findet hier im Retreatcenter eine Ayahuasca Zeremonie mit zwei Huni Kuin Frauen statt und wir ziehen in Betracht daran teilzunehmen. Vorher gibt es ein Konzert in einem Ort am anderen Ufer des Sees, uns ist es wichtig einen persönlichen Eindruck zu bekommen bevor wir uns auf so eine tiefe innere Reise einlassen. Auf Stühlen sitzen wir in einem Halbkreis um die zwei Frauen, Mutter und Tochter. Joe übersetzt für uns, sie organisiert alles für die beiden, die im brasilianischen Dschungel leben. Die Situation fühlt sich merkwürdig an. Joe erklärt, dass die beiden noch nicht lange Konzerte geben und sie es nicht gewohnt sind. Sie singen sonst nur in ihrer Gemeinschaft und in Zeremonien. Beide Frauen tragen Federschmuck auf dem Kopf, die Tochter hat den Blick gesenkt und hebt ihn kein einziges Mal während sie singt. Ihre Körperhaltung ist zusammengezogen, in meiner Wahrnehmung fühlt sie sich unglaublich unwohl, es entsteht kein Kontakt zwischen ihr und der Gruppe und sie fühlt sich ganz weit weg an. Ich kann mich nicht gut entspannen, ich habe viele Fragen im Kopf. Joe erklärt; dass es wichtig ist Konzerte zu geben, damit die Menschen sie kennen lernen und gleichzeitig fühlt es sich unnatürlich und absurd an. Später erfahren wir, dass es in den Zeremonien ähnlich ist. Kein Blickkontakt und sehr zurückgezogen. Wir wissen nichts über die Hintergründe davon, aber wir haben beide ein starkes Gefühl, dass hier etwas unstimmig ist und entscheiden uns gegen die Zeremonie. Es gibt einige Medizinmenschen von Stämmen aus Brasilien, die in den heutigen Tagen umher reisen und Zeremonien geben, wie die Huni Kuin und auch die Yawanawa. Ich glaube es ist leicht in diese Menschen viel hineinzuprojizieren, sie als ultimative Lösung unserer Abgetrenntheit und Entfremdung zu sehen, da sie ein ursprünglicheres Leben leben als wir. Und gleichzeitig merke ich, wie wichtig es ist auch hier gut hin zu spüren, auf Resonanz und Dissonanz zu hören. Die gesungenen Gebete waren sehr kraftvoll; ich habe sie tief in meinem Körper wahrnehmen können und ich will den Stämmen in keinster Weise ihre Kraft absprechen, die ist sehr deutlich spürbar. Aber es sind eben auch Menschen und Menschsein bringt viele Facetten mit sich, nicht nur lichtvolle.
Es ist Zeit für uns uns zu verabschieden. Im Retreatcenter lebt ein kleines Kätzchen, das sich ein paar Tage vor unserer Anreise schwer verletzt hat und so lernen wir es als menschenscheues, zurückgezogenes Wesen kennen, das nur auf drei Beinen laufen kann und sich nicht berühren lässt. Als wir uns verabschieden, leckt sie Steffens Hand und ich habe sie in den letzten Tagen auf dem Arm tragen dürfen. Sie benutzt ihre Pfote wieder, wenn auch humpelnd. Wir haben viel Zeit mit ihr verbracht und unser anfänglicher Zweifel, dass sie ohne Tierarzt nicht heilen könne ist langsam dem Vertrauen in ihre Lebenskraft gewichen. Auch die Hunde des Ortes sind unsere Freunde geworden und wir haben sie trotz nächtlicher Strapazen (sie bellen jedes Eichhörnchen, ja jedes Blatt, das vom Baum fällt an - zu jeder Tageszeit) tief in unser Herz geschlossen.
Schwer bepackt machen wir uns an den Abstieg. In den letzen Wochen habe wir schwitzend einige Auf- und Abstiege hinter uns gebracht und ich schätze die körperliche Anstrengung sehr. Ich mag Anstrengung, die sinnvoll ist, Energie die nicht in ein Laufband oder eine Hantelbank im Fitnessstudio fließt, sondern einen an gute Orte trägt und dem Leben dient.
Im Ort unten angekommen überrascht uns strömender Regen. Völlig nass steigen wir in eins der Rückenbrecher Boote und los geht die wilde Fahrt. Ich entdecke einen Aufkleber auf dem ein Mayan Surf Hotel beworben wird. Ganz in der Tradition der Maya versteht sich, die schon vor vielen Jahrhunderten den See als Surf Paradies für sich erkannt hatten. Ich muss lachen, eigentlich bin ich fassungslos. Neben dem Sticker ist ein weiterer Aufkleber mit der Aufschrift „it is not paradise if locals can’t afford to live here. Make it paradise, give land back“. JA!
Die Busfahrt nach Antigua sprechen Steffen und ich kaum ein Wort miteinander. Wir sind beide damit beschäftigt auf den Horizont zu starren, bzw. den nächsten Berghang, um nicht dem dringenden Bedürfnis nachgehen zu müssen unseren Mageninhalt zu entleeren. Ich bin dankbar, dass wir nicht noch direkt am selben Tag nach Kolumbien fliegen und daran anschließend unsere 9-stündige nächtliche Fahrt nach Bucaramanga geplant haben. Als ich damals vor 10 Jahren in Indien gereist bin, habe ich meine körperlichen und nervlichen Grenzen in aller Ausführlichkeit kennengelernt und überschritten, jetzt sind sie meine guidelines für mein Leben. Ich erinnere mich wie ich mit einem indischen Freund in Mumbai keine 10€ für eine Nacht in einem Hostel bezahlen wollte und wir am Ende eingeladen von einem Bekannten in einem kleinen Schuppen voller Insekten schliefen, um der horrenden Summe von 10€ zu entgehen. Aber spätestens als es in unseren Schlafsäcken krabbelte, fassten wir uns ein Herz und zogen am nächsten Tag zu einem Freund, in dessen Wohnzimmer wir gemeinsam mit seiner Großmutter auf dem Fußboden schliefen. Die Zeiten waren wild und ich war mehr außerhalb als innerhalb meines Körpers zuhause, ich glaube anders hätte ich Indien nicht gut überstanden.
Steffen und ich kommen regelmäßig im Gebet zusammen. Es sind die Momente, in denen ich am meisten spüre, wofür ich hier bin. Unseren letzten Tag in San Marcos verbringen wir am Wasser. Wir trommeln und singen. Ich habe getrocknete Rosen und andere Gaben aus Deutschland und von meinen Reisen dabei, die ich mit einem Gebet aufs Wasser gleiten lasse. Ich fühle wie wohltuend es für die Wesen und Hüter der Orte ist, wenn wir sie begrüßen und uns verabschieden, sie würdigen und mit ihnen in Kontakt sind, sie erkennen. In einem kleinen Döschen habe ich außerdem Wasser vom Hohen Meissner, einem Kraftort in der Nähe von Kassel, mitgebracht und schütte es mit einem Segen in den See. Ich nehme etwas Wasser vom See mit für meine weitere Reise, um es zu anderen Gewässern zu tragen. Die Verbindung zum Wasser zu suchen fühlt sich an wie ein roter Faden meiner Reise. Es gibt für mich nichts wohltuenderes als ein Bad in einem glasklaren See zu nehmen oder das Wasser aus einer Quelle trinken zu können. Die verunreinigten Gewässer unserer Erde empfinde ich als direkten Spiegel des Bewusstseins auf unserem Planeten. Der Lake Atitlan ist davon auch sehr stark betroffen. Die Abwässer der Stadt werden in ihn hinein geleitet und ich beobachte wie die Bauarbeiter einer am See gelegen Baustelle alle Utensilien mit dem Wasser reinigen und es anschließend auch in den See kippen.
Wie konnte es passieren, dass die einst so verbundenen Maya so verloren gingen? Es ist die Geschichte der Erde und ihre Geschichte ist auch unsere. Ich kenne sie gut mittlerweile, ich habe viel geforscht und erfühlt in den letzten Jahren, um meine eigenen Wunden und die kollektiven besser begreifen zu können, zu begreifen wie der Windigo seinen Weg in dieser Welt findet. Die Maya haben sehr viel Kraft, anders ist es nicht erklärbar, dass sie noch heute mit Teilen ihrer Tradition verbunden sind, sich ihre Sprache erhalten haben. Sie haben Monsanto boykottiert. Mais ist für sie heilig, das Saatgut wird von Generation zu Generation weitergegeben und ist ein Teil der Familie. Am Lake Atitlan bauen sie noch viel Mais an, allerdings mussten sie ihren perfekten Standort am Seeufer aufgeben und Platz machen für Luxusbauten, die von der Aussicht profitieren. Weiter oben auf den Bergen sieht man sie nun unter schwierigen Bedingungen ihre Mais Plantagen bewirtschaften. Auf unserer Rückreise durch Antigua verbringen wir einen Abend mit unserem guatemaltekischen Host, der uns mit in seine Erfahrungswelt nimmt. Er erzählt, dass die Maya und generell die indigenen Communities sehr für sich sind und die Regierung und die anderen Guatemalteken ablehnen und nichts von ihnen wissen wollen. Das führt zu einer großen Spaltung in der Bevölkerung. Ich kann die Ablehnung der Maya gegenüber den anderen sehr nachvollziehen, die alte Wunde ist tief und es gibt viel Verbitterung, Misstrauen und Wut. Was sich in den heutigen Tagen am See ereignet fühlt sich an wie eine Wiederholung von damals. Die Enteignung des Landes, die Kommerzialisierung von Tradition. Reiche, weiße Menschen, die oft mit sehr wenig Respekt die heiligen Orte betreten, die Liste ist lang. Ich weiß nur, dass ich mich in diesem Spannungsfeld nicht wohl fühle und auch nicht im Stande bin es auszublenden, um eine gute Zeit in einer „spirituellen“ Gemeinschaft zu haben.
Und bevor ich das Kapitel Guatemala schließe und wir uns nach Kolumbien begeben, mag ich noch einen Fun Fakt teilen: Kakao Zeremonien sind eine Erfindung des Westens. Die Maya haben Kakao ganz anders für sich genutzt, zum Beispiel wenn jemand krank war, Kakao war Medizin. Das süße Getränk, wie wir es von unseren „Kakao Zeremonien“ kennen, angereichert mit herrlichen Gewürzen hat nichts mit der ursprünglichen Tradition zu tun. Das heißt nicht, dass die westliche Erfindung von Kakao Zeremonien wertlos wäre, ich selbst genieße Kakao mit etwas Kardamom und Rosenwasser in einem Kreis von Herzensmenschen sehr und kenne kein nährenderes Getränk, aber es ist losgelöst von seiner ursprünglichen Verwendung.
Kolumbien
Nach zwei Tagen in Bogota nehmen wir einen Bus nach Bucaramanga. Wir haben ausführliche Recherche über die unterschiedlichen Busse betrieben, um einer 12 stündigen Lautstärke Eskapade zu entgehen. Ich blicke auf einige Erfahrungen in Indien zurück, bei denen auf überall im Bus verteilten Bildschirmen die ganze Fahrt lang auf maximaler Lautstärke Filme liefen. Nach dem 3ten Film hatte ich damals Kopfschmerzen und nach dem 5ten Film (um 12 Uhr nachts) fing ich an darüber nachzudenken, wie hoch die Überlebenschancen stehen, wenn man aus einem fahrenden Bus springt. Ich habe mich damals dann gegen AC Busse und für general class Busse entschieden, die weder den Luxus eines Fernsehers besaßen, noch den einer Klimaanlage. Als relativ geräuschempfindsamer Mensch muss man Entscheidungen treffen. Ich brauche keine Wiederholung dieser Erfahrungen und so finden wir zum Glück einen Bus, wo jeder seinen eigenen Bildschirm hat und somit Schmied seines eigenen Schicksals ist. Dankbar sitze ich nun in dem breiten Sitz und tatsächlich genießen wir die meiste Zeit der Fahrt Ruhe. Ich mag Kolumbien jetzt schon. Die Natur ist wunderschön und die Menschen sehr offen. Um 11 Uhr abends lässt uns der Fahrer an einer Haltestelle aus dem Bus, die „Pare Papi quiero piña“ heißt (was so viel bedeutet wie Haltestelle „Papi ich will Ananas“) und wir machen uns auf den Weg zu Carlos, einem Freund von Steffen. Leider haben wir keine Simkarte und kein Internet und wir haben nur kryptische Informationen über die Lage des Hauses. Gemeinsam mit dem Taxifahrer machen wir uns auf die Suche. Er scheint nicht ganz Herr seines Handys zu sein und so gibt er es uns, nach einigen Erklärungsversuchen unsererseits wie man einen Hotspot einrichtet, in die Hand. Zum Glück hat Carlos noch ein paar hilfreiche Hinweise und wir finden das Haus. Mittlerweile ist es schon spät und alle im Haus scheinen zu schlafen. Ich klettere über den Zaun und rufe nach Marta, der Besitzerin des Hauses. Gott sei Dank kommt sie nach einiger Zeit heraus und lässt uns durch die Pforte rein. Wir verabschieden uns von dem Taxifahrer und danken für seine Mühen und bemerken danach, dass er wahrscheinlich weder wusste was ein Hotspot ist, noch wie man ihn ein oder ausstellt. So beende ich meine erste Erzählung hier mit den Worten: und wenn er nicht gestorben ist, dann gibt es seinen Hotspot noch heute.
Eine Woche später sitzen wir schon wieder im Bus auf dem Weg nach Barichara. Die letzte Woche bei Steffens Freunden haben wir vor allem mit Ausruhen und dem Zubereiten von Essen verbracht. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie man ganze Tage damit verbringen kann Essen vorzubereiten, zu kochen und zu essen. Wir schlafen im Zelt. Ich liebe die nächtliche Geräuschkulisse. Das Haus von Martha liegt auf einem Berg vor Bucaramanga. Nachts flimmern die Lichter der Hochhäuser der Stadt in der Ferne, eine warme Brise weht. Das Grundstück ist übersät von riesigen Kröten, die bei Dämmerung ihre Verstecke verlassen. Eine von ihnen springt gegen meine Gitarre und lässt sich dann in ihrem Schatten nieder. Ich bin sehr erschöpft, unsere Reise vom Lake nach Bucaramanga hat sich über 5 Tage erstreckt und ich merke wie ich mich danach sehne anzukommen. In jeder freien Minute lege ich mich mit einem Spanisch- Lernbuch in die Hängematte. Zum Glück bin ich der französischen Sprache mächtig und kann mir Grammatik und Wörter ableiten. Trotzdem sind die Unterhaltungen, die ich mit Martha führe anstrengend für mich. Mit dem Verstehen tue ich mich schwer, sprechen fällt mir nicht so schwer. Carlos, Steffens Freund, kolumbianischer Herkunft, lernt bei einem Schamanen in Putumayo, im südlichen Amazonas Gebiet Kolumbiens. Es ist bereichernd von ihm über die unterschiedlichen Stämme im Dschungel zu erfahren. Gleichzeitig merke ich zunehmend, dass ich mich unsicherer fühle als vorher. Die Erfahrungen am Lake Atitlan haben mich sehr bewegt und auch Carlos erzählt von seinen Erfahrungen als nicht indigener Kolumbianer mit Indigenen, die keineswegs immer positiv waren. In mir ist die Sehnsucht von ihnen zu lernen und gleichzeitig verstehe ich, dass sehr viel Vergangenheit zwischen uns steht. Wir begegnen uns eben leider nicht nur als Individuen, sondern auch als Träger von kollektiven Erfahrungen.
Barichara ist ein wunderschöner Ort. Zehn Minuten entfernt vom Zentrum führt ein holländisches Paar einen Camping Platz und Steffen, der vor vier Jahren dort für einige Zeit gearbeitet hat, hat ihn in bester Erinnerung behalten. Und er ist wirklich ein Traum! Der Stress der Busfahrt fällt schnell von mir ab, es ist unglaublich still. Nachhaltigkeit und Permakultur liegen den beiden am Herzen, sie backen Brot selbst und machen herrliche Marmelade. Sie haben immer viele Freiwillige, die gegen Kost&Logie mit anpacken und der Ort zieht allerlei interessante Menschen an. Die meisten verbindet die Suche nach einem Leben in Verbindung mit der Natur und sich selbst, das Gefühl es im eigenen Land, in der Stadt nicht auszuhalten und dem Wahnsinn der Gesellschaft entkommen zu wollen. Es ist das erste Mal seit dem wir unterwegs sind, dass ich das Gefühl von Gemeinschaft erlebe und fühle wie wohltuend es ist und wie ich es schmerzliche vermisst habe. Anfänglich fühle ich mich innerlich sehr getrieben. Es braucht eine Weile bis das Gefühl der Eile in mir ruhiger wird und ich mich entspannen kann. In meinen deutschen Zellen lebt der Glaubenssatz zu jeden Zeitpunkt etwas „sinnvolles“ tun zu müssen und mich eingeschlossen treibt er viele von uns durchs Leben. An diesem Ort hier herrscht eine tiefe Ruhe. Morgens arbeiten die Freiwilligen mit Juep bis zum Mittag, danach ist jeder frei das zu tun, was er oder sie möchte. Meine künstlerischen Projekte liegen größtenteils auf Eis, da ich nicht auf Leinwand malen kann. Und so kommt es, dass ich keine Aufgabe habe und anfangs finde ich es furchtbar. Es dauert ein paar Tage und einige emotionale Prozesse bis ich Genuss darin finde morgens aufzustehen, gemächlich einen Tee mit Kräutern aus dem Garten zu trinken und dann das Mittagessen für alle vorzubereiten. Wir verbringen unzählige Stunden gemeinsam am Tisch und teilen Geschichten. Zum Sonnenuntergang setze ich mich auf einen Felsen und beobachte wie der leuchtende Feuerball hinter den Bergketten verschwindet. Am späten Abend gewittern es fast jede Nacht und ich genieße den Regen auf unserer Zeltplane. Ich liebe das Projekt, dass die beiden hier aufgebaut haben. Sie versuchen sich weitestgehend unabhängig vom Wasser des Dorfes zu machen und haben ein Wassersystem gebaut, das mit Regenwasser und Pflanzenklärsystemen arbeitet. Der Ort Barichara generell hat viele Menschen angezogen, die nach nachhaltigen Lebensformen suchen und sie weiterentwickeln. Zu meiner Freude gibt es viele Künstler und Kreative, man kann z.B. das Herstellen von Erdpigmentfarben erlernen und nachhaltige Bauweisen. Natürlich zieht ein schöner Ort wie dieser auch viele Touristen an und die Tourismus nimmt großen Einfluss auf alle Infrastrukturen, in meiner Wahrnehmung hält sich das Ausmaß aber in Grenzen. Ich bin dankbar mich nachts sicher auf den Straßen der Stadt fühlen zu können und wie ich höre, scheint dies einer der wenigen Orte Kolumbiens zu sein, der das mit sich bringt.
Mehr und mehr erkenne ich, wie schwer es mir fällt in der Tiefe zu genießen und nicht permanent im Funktionsmodus zu sein. Es ist subtil und gleichzeitig tief verankert in meinem Sein. Die Stille und die Berge hier lassen mich mehr und mehr Abstand zu Deutschland und dem deutschen Leben nehmen, aber es braucht Zeit. Wir treffen einen Schamanen, der hier in der Nähe lebt und mit Yage (Ayahuasca) arbeitet. Gemeinsam mit seiner Frau besitzt er Land in der Nähe von Barichara, wo die Zeremonien stattfinden und sie viele Medizinpflanzen kultivieren, wie die Yage Pflanzen, Sananga, Tabak und Koka, aber auch Brennnesseln und Zitronengras. Sie sind sehr herzlich und offen und lassen uns teilhaben an ihrem Leben. Unser Spanisch ist mittlerweile so gut, dass wir das meiste verstehen, was sie uns erzählen und uns gut einbringen können.